In dieser Ausgabe meines Letter of Inspiration liest Du, wie sich das Verständnis von Luxus verändert hat, welche Rolle die Themen ‘Bedeutung’ und ‘Kennerschaft’ hierbei einnehmen, und warum das zum Ende des Konsums führt. Den Abschluss macht ein Impuls zur Leichtigkeit.

Der Luxus: bewundert, begehrt, am Ende

Der Luxusmarkt galt lange als Seismograph für den Massenmarkt. Ein grosses Statement, beginnend mit der Fragestellung, was Luxus eigentlich ist, und endend mit der Überlegung, was das für mein Geschäft bedeutet.

In den heranwachsenden Generationen (in Medien als Millennials und Gen Z bekannt) hat es in den prägenden Jahren, im Alter zwischen 10 und 25 Jahren, nie an etwas gefehlt. Sie sind in einer globalisierten Welt, ohne jegliche geografischen Grenzen oder eingeschränkten Zugang zu Produkten aufgewachsen.

Was macht einen Unterschied, wenn der Zugang zu allem uneingeschränkt ist und jeder alles zu jeder Zeit haben kann? Der Wunsch nach Bedeutung und Sinn wird immer stärker. Es ist vermutlich naiv anzunehmen, dass das keinen Einfluss auf eine Industrie hat, die von Konsum und Materiellem dominiert wird.

Ein Beispiel ist die Flugindustrie: Was lange als Luxusgut galt und nur einer ausgewählten Schicht zugänglich war, hat heute den Massenmarkt erobert. Flughäfen sind vergleichbar mit überfüllten Innenstädten und das Fliegen per se wird mittlerweile sogar von vielen als Last wahrgenommen. Die allgemeine Erhältlichkeit reduziert die Bedeutung. Konzepte wie NetJets, ein Anbieter für Privatflüge, wachsen stetig. Warum? Sie verkaufen keine Flüge, sondern Sicherheit und Unabhängigkeit für ihre exklusive Kundenklientel. Werte, die einen neuen Luxus beschreiben.

Wissen schafft Wertschätzung und somit Bedeutung. Auf der Suche nach Bedeutung ist Materialismus uninteressant geworden. Das Verständnis von Luxus entwickelt sich weg vom seinem Status-Nutzen hin zu einem Kennerschafts-Thema. Letztendlich diktiert die Tiefe des Wissens zum Produkt den Level an Genuss. Ein schönes Beispiel, das dies wunderbar dramatisiert, sind Menü-Präsentationen in Sterne-Restaurants. Hier findet selbst der lokale Bauer und die Milchkuh Erwähnung. Alles Wege, um dem Produkt (noch mehr) Bedeutung zu geben.

Welchen Einfluss hat das auf mein Geschäft? Erfolg hat, wer Bedeutung kreiert und diesen neuen Wert im passenden Kontext vermittelt.

Das Zeitalter des Connoisseurs

In dieser skizzierten Veränderung haben Personen mehr Wert als grosse Marken. Es geht um individuelles Denken und ein Mehr an Tiefe, als die durchschnittliche Google-Recherche mir beschert. Sichtbar wird das u.a. in der wieder aufkommenden Wertschätzung für Handwerkliches. Ob das im neuen Trend-Beruf des Baristas zu erkennen ist, der als Qualifikation ein extravagantes Wissen über Kaffeebohnen-Herkunft, Rösttemperaturen und Mahlgradstärke verfügt, oder, der Bereitschaft bis zu drei Monate auf ein handgefertigtes Paar Lederschuhe zu warten.

Was diese Entwicklung zudem befeuert ist eine Berufsgruppe, die lange nur in der Kunstwelt zu finden war: der Kurator. Eine Person, die persönliche Verbindungen zum Connoisseur hat, in der Kunstwelt als Künstler bekannt, und geschickt einzelne Werke zu einer Ausstellung verbindet. Diese Gabe wird zukünftig, übersetzt auf andere Branchen, mehr und mehr ein Bedürfnis sein und eine neue Form von Anerkennung geniessen. Die Suche nach Bedeutung lässt Konsumenten nicht mehr vor Boutiquen Schlange stehen, sondern nach Zugängen zu Kennern Ausschau halten.

James Freeman und sein BlueBottle

Vermitteln von Bedeutung in einem hoch kompetitiven Markt: James Freeman, Gründer der kalifornischen Kaffeehauskette Blue Bottle, hatte einen Traum: Er wollte 2004, neben den bereits bekannten Coffee Shops dieser Welt, den besten Kaffee anbieten. Viele Gespräche, Tastings und Forschungen später fand er heraus, dass der geschmackliche Höhepunkt von Kaffeebohnen 48 Stunden nach der Röstung signifikant abnimmt. Nun war sein Ziel klar: Er bietet nur Kaffee, der mindestens 48 Stunden nach der Röstung konsumiert wird. Das Ergebnis? Weltweit mehr als 60 Läden und ein Umsatz von 22.5 Millionen USD.

Das Ende des Konsums

Der exzessive Konsum ist nicht länger schick. Der Kennerschafts-Luxus zeigt sich im leisen, unaufdringlichen Genuss und lässt sich als radikal anspruchsvoll zusammenfassen. Einfach den teuersten Tropfen Rotwein zu trinken, genügt nicht, es geht nicht mehr um die laute Oberfläche (Status und Preis). Weinstil, Bezug zum Winzer, Weinanbau und -ausbau, das Hintergrundwissen bekommt Relevanz. Wenn der Sommelier, der Wein-Kurator, nicht überzeugt, dann wird lieber Selleriesaft oder Wasser mit Zitrone getrunken. Es herrscht ein neues Level an Klarheit. Der einfache Zugang zu Informationen macht es möglich und das Kennerschafts-Wissen lässt die Bereitschaft zum Kompromiss schwindend gering werden. Der Konsument ist bewusster, gebildeter und interessierter. Laut einer Studie des Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) wird dieser Trend noch weitergehen: ‘Der Konsument ist gleichzeitig Produzent.’ Nun spinnen wir den Kreis des Connoisseurs einmal weiter: Der eigene Anspruch steigt, das Handwerk erfährt ein Revival: Wird Kaufen irgendwann ersetzt durch Selbermachen und das Tauschgeschäft?

Was hat mich kürzlich inspiriert? Der Wunsch nach Leichtigkeit.

Im Kopf hatte ich wunderschöne, bunte Häuser, eingebettet in die Felsen des Tyrrhenischen Meeres, sowie weisse, kleine Strandbuchten, die einem von der heissen Augustsonne eine Abkühlung bieten. Die Realität der Amalfi Küste waren überfüllte Passstrassen, schwarze, heisse Kiesstrände, an denen man sein Handtuch im Tetris-Modus in eine kleine Lücke einpassen durfte.

Platz, Ruhe, Unabhängigkeit, für mich Attribute des leisen Luxus, weit gefehlt. Aber, die drei Tage an der Süditalienischen Küste waren gleichwohl bereichernd:
Menschen, vornehmlich Italiener, die all das nicht gestört hat. Die kultiviert, stilvoll den Moment genossen und gelebt haben. Weit weg von Selbstoptimierung oder -inszenierung für den nächsten Instagram-Post. Ohne Yoga-Lehrer-Ausbildung, veganer Ernährung oder dem Drang nach Minimalismus durch die selbstauferlegte Reduktion auf nur 100 Dinge. Alles Wege unserer schnelllebigen Zeit, um sich selbst wieder näher zu kommen. Nein, diese Leute haben Genuss und das Sein mit Leichtigkeit zelebriert.

Meine Beobachtung: Die Leichtigkeit bekommt nicht, wer am meisten Energie auf das Erreichen verschwendet, sondern das Gegenteil macht: Loslassen und Sein.

Im Überblick

Das Verständnis von Luxus verändert sich und löst einen Rückgang des inflationären materiellen Konsums aus. Der Konsum der Neuzeit entwickelt sich zum Kennerschafts-Luxus. Das setzt einen neuen Schwerpunkt auf Dich selbst: dein individuelles Wissen, dein persönlicher Kontakt und am Ende das Kreieren deines eigenen Kontextes. Ein Blick in das Buch von Hans-Ulrich Obrist ‘Ways of curating’ und mein Blog können erste Impulse in diese neue Welt geben.