Letter of Inspiration #17 - Woran wir glauben
In diesem Letter of Inspiration frage ich mich, nach welchen Werten wir leben und arbeiten und warum die Britische Monarchie hierfür ein interessantes Beispiel ist.
Woran wir glauben
An was glauben wir heute? Was gibt uns einen Rahmen, was bietet Orientierung und was Halt? Die Art und Weise, wie wir aufwachsen, die Prägung unserer Eltern oder Personen, die uns in den ersten prägenden Jahren eng begleitet haben, haben einen tiefen, wenngleich auch unbewusst starken Einfluss auf unser späteres Leben. Unbewusst deshalb, weil unsere ersten Erinnerungen meist im Alter von 4 Jahren beginnen. Die Jahre zuvor sind prägend, jedoch unbewusst. Geht man zurück in der Zeit, war die Erziehung in diesen Jahren im westlichen Europa eine christliche. Christliche Werte und Bräuche wurden uns vermittelt und weitergegeben. Das hatte einen Vorteil, wir hatten alle ein ähnliches Werte-System nachdem wir gehandelt haben. Wir wussten, was ist Recht und was Unrecht. Das heißt nicht, dass man sich an das Recht gehalten hat. Jedoch war einem klar, wann eine Tat Unrecht war und dass dies Konsequenzen haben wird.
Die Werte-Systeme sind umfangreicher geworden, die Zahl der Kirchenaustritte ist höher als die Zahl der Eintritte. Woran glauben die Leute heute und gibt es Werte-Systeme, die das Glaubenssystem Christentum abgelöst haben?
Erfolgreiche Unternehmen, die eine starke Corporate Identity (Unternehmensidentität) haben, repräsentieren in dichter Form ausgedrückt ihre Werte, die sie ausmachen und beschreiben. Sichtbar wird das unter anderem auf Berufsplattformen, wie LinkedIn. Hier kann man „Ex-Google“ oder „Ex-McKinsey“ in der Berufsbeschreibung lesen. Die Zugehörigkeit und somit Verbundenheit bleibt bis über den Austritt hinaus bestehen. Ich glaube, dass Unternehmen heute einen stärkeren Einfluss auf das Werte-System vor allem von jungen Menschen haben, als man sie aus der Zeit unserer Eltern vielleicht kennen mag. Die Erfahrungen eines 20-Jährigen im Jahr 2024 unterscheiden sich erheblich von denen des Jahres 1984. Eliteuniversitäten wie Harvard, Oxford oder Yale sind dafür bekannt, neben Wissen auch eine Ideologie zu vermitteln. Dies ist jedoch eine entscheidende Zeit, in der der Einzelne nach einem Gefühl der Zugehörigkeit und nach Leitwerten im Leben und in der Geschäftswelt sucht, um seinen Weg zu finden. Jeder Schritt hinterlässt eine Spur, und nach einigen Jahren im (Berufs-)Leben kann dies zu einer Orientierungs- und Identitätskrise führen. Wer bin ich eigentlich? Was kann ich wirklich gut? Wo gehöre ich hin?
Die Identitätsfrage
Die Frage nach „Wer bin ich?“ wird nach jedem Jobwechsel laut. Und die Suche nach einer Antwort geht von Yoga und Achtsamkeitstraining über Coachings und Seminare zur Selbstfindung, bis hin zu Sabbaticals und längeren Auszeiten meistens verbunden mit Reisen, um aus dem Alltag zu entkommen und somit Klarheit im Fremden und Unbekannten zu finden. Es ist nicht leicht, diese Frage zu beantworten, die größten Denker unserer Zeit haben keine klare Antwort zu „Wer bin ich?“gefunden. Descartes sagte „Ich denke, also bin Ich. Wittgenstein sah das „Ich“ nicht existieren, nur als ein Missverständnis in der Sprache/dem Ausdruck. „Ich bin, der ich bin.“ die göttliche Antwort in der Bibel (2. Moses 3, 14-15) auf Moses Frage, was er den Israelis sagen soll, wer ihn sendet. Klar wird, dass die Antwort von einem selbst kommt, nicht von einem Wertesystem, an dem man zeitweise partizipiert hat. Vielleicht ist die Frage daher nicht „Wer bin ich?“, sondern „Woran glaube ich?“.
Was mich kürzlich inspiriert hat: Codes und Rituale
Der hochedle Orden vom Hosenbande (The Order of the Garter) ist einer der exklusivsten noch heute verliehenen Orden in Britain und einer der angesehensten Europas. Es gibt in der britischen Monarchie die Struktur der Orden und Ehrenzeichen. Der signifikante Unterschied zwischen beiden ist, dass man Teil einer Ordensgemeinschaft wird. Bei der Vergabe eines Ehrenzeichens geht es nicht um die Gemeinschaft, sondern „nur“ um die Anerkennung selbst.
Was macht den Hosenbandorden aus? Gegründet 1348, um die wichtigsten Ritter während des hundertjährigen Kriegs zwischen Frankreich und England noch enger an den König zu binden. Der Orden hat nur 24 Mitglieder und wird nicht wie bei anderen Orden vererbt, sondern muss verdient werden. Er gilt als Prestige Orden und außer dem Alt-Kaiser Akihito und Kaiser Naruhito von Japan sind alle Träger christlich. Ein interessantes Detail, wenn man über die Werte-Diskussion vom obigen Text wieder nachdenken mag.
Jeder kennt die Gedanken der Alumni-Treffen, Think-Tanks usw. Warum soll man dorthin gehen, was macht eine starke Gemeinschaft aus? Klare Codes, wiederkehrende Rituale, die Dauer des Bestehens, die Bedeutung der Vereinigung, der Daseinsgrund, die offenkundige Bekenntnis über ein Symbole oder Wahrzeichen, wie hier u.a. die Farbe des Bandes in blau, ein Bruststern, Mantel und Hut als Ordenstracht sowie limitierte Plätze, in diesem Fall 24 und eine Monarchen-Familie, die den Orden seit 667 Jahren pflegt, bewahrt und leitet.
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Letter of Inspiration #16 - Die Macht des Geldes
Dieser Letter of Inspiration befasst sich mit starken Themen. Es geht um Macht, Geld und Betrug. Was wie der Anfang eines James Bond Films klingen mag, bringt im Kern womöglich eine mehr poetisch und philosophische Sichtweise auf diese klassischen Bilder. Viel Freude beim Lesen.
Die Macht des Geldes
Haben Sie schon einmal versucht, einen Tag lang kein Geld auszugeben? Kein Coffee-To-Go auf dem Weg ins Büro, keine Tram oder Uber zum Termin, auch kann das Auto nicht im Parkhaus abgestellt werden. Der Lunchtermin wird zum Spaziergang, gegessen werden mitgebrachte Sandwiches, zum spontanen Abendessen mit Freunden im neuen Trend-Restaurant müssen Sie leider nein sagen. Auch die Tennisstunde am Nachmittag fällt aus. Wie fühlt sich das an? Ich habe diesen Selbstversuch neulich gemacht. Der erste Moment ist beklemmend, einengend und zudem fühlt man sich sozial ausgeschlossen. Im zweiten Moment hat das ganze Experiment jedoch auch etwas befreiendes, nicht alles möglich machen zu müssen (oder zu können). Nein-sagen ohne schlechtes Gewissen, denn man kann schlichtweg kein Geld ausgeben und ist somit optionlos. Und ganz entscheidend: mehr Zeit. Eine Frage bleibt: Hat Geld Macht über uns oder unser Wunsch der Zugehörigkeit?
Andersherum gedacht: Wenn Geld keine Rolle spielt (da vorhanden), macht es Dinge gar komplizierter? Denn es eröffnet plötzlich andere Fragen. Nur ein paar Beispiele…Sollte ich zu diesem Essen gehen, schließlich kommt ein Botschafter, oder der Boss, oder gar der Bundeskanzler? Es wäre gut, gesehen zu werden oder in Kontakt zu bleiben, nicht? Oder Sie brauchen ein neues Auto und der Fächer an Optionen geht auf: Sportlich oder elegant, SUV oder Coupé? Protzig oder dezent? Benziner oder Elektro? Kommt Geld vielleicht auch mit einer gewissen Komplexität und der Verantwortung, sein Leben auch zu teilen? Egal, ob das nun mit der Öffentlichkeit, Freunden oder Geschäftspartnern ist, man mag großzügig sein. Das beinhaltet jedoch nicht nur das eigene Geld, sondern eben auch die eigene Zeit. Finanzielle Engagements beinhalten auch Sichtbarkeit. Vergleicht man das zum 1-Tages-Experiment „Zero-spending“, zeigt sich das Gegenteil, die Komplexität ist raus und die Mehrzeit für einen selbst gesichert. Dieses Wissen ist natürlich nützlich, vor allem wenn man kurz davor ist, ein Projekt abzuschließen oder sein Buch schreiben zu wollen. Zero-spending hilft dem eigenen Fokus und vereinfacht das Leben ungemein.
Gehen wir mal aus dem Extrem, also weg von zero. Wo liegt die Balance, wenn alles möglich ist? Wie viel Zugehörigkeit oder Sichtbarkeit braucht es und wie viel Einsamkeit ist fruchtbar? Mit der Wahl meiner Treffen entscheide ich, was oder wer mir wichtig ist. Mit der Wahl meiner Orte entscheide ich, in welchem Kontext ich gesehen werden will. Was ich konsumiere, intellektuell oder im wahrsten Sinne, zeigt, wer ich bin. Für mich beantwortet das die Frage, was Macht über mich hat: Je mehr ich selbst bin, desto mehr liegt die Macht in meinen Händen.
Was mich kürzlich inspiriert hat: Betrug.
Vermutlich nicht das Thema, über das man normalerweise liest, noch schreibt. Und dennoch werden viele Führungskräfte mit Fällen, die zu Misstrauen oder dem Verlust von Vertrauen führen, konfrontiert. Was tun in einem Moment des Betrugs? Kann man diesen Personen überhaupt wieder vertrauen und mit ihnen weiterhin zusammenarbeiten?
Der kontrovers diskutierte kanadische Psychologe Jordan Peterson hat in einem Beitrag zu genau dieser Frage mit Dante Alighieris Inferno, mit dem ersten Teil seines legendären Gedichts der Göttlichen Komödie geantwortet. Das Bild, das Dante über die Hölle zeichnet, ist das wohl bekannteste und am meisten genutzte. Am tiefsten Punkt, am Grund der Hölle, sitzt der Teufel. Nun aufgepasst, nur einen Rang über ihm hat Dante die Betrüger gesetzt! Fast eins mit dem Teufel. Die Schwierigkeiten der Frage, ob man Betrug verzeihen kann, ergibt sich von selbst und verbindet sich vielleicht mit der Frage, ob man bereit ist, das Risiko einzugehen, sich die Finger noch einmal zu verbrennen. Wir neigen dazu, das Gute im Menschen zu sehen. Doch ein Betrüger hingegen braucht Zeit, das Gute in sich selbst wieder zu sehen. Es ist ein langer Weg, sich vom fast tiefsten Punkt der Hölle, wieder nach oben zu arbeiten. Sicher auch kein leichter.
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Letter of Inspiration #15 - Glücklich bis ans Lebensende
In diesem Letter of Inspiration finden Sie die Auseinandersetzung zur Fragestellung, was ein CEO oder HR Manager von Märchen und der Buddhist Ökonomie lernen kann.
Glücklich bis ans Lebensende
Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum ein Happy End in Märchen immer mit der Hochzeit der Hauptdarsteller endet? Meistens ein Paar, welches sich durch große Herausforderungen gekämpft hat, um am Ende zusammen zu sein. Die Schöne und das Biest, eine junge Dame wird verschleppt, um mit einem Biest zu leben, eine Kreatur, die verhext wurde und ihre menschliche Gestalt verloren hat. Natürlich kann nur der Zauber der wahren Liebe diesen Bann brechen. Was danach folgt, kann man sich denken: ein überglückliches Paar, das heiratet und glücklich bis ans Ende ihrer Tage lebt.
Dies ist ein Beispiel von vielen. Doch was ist mit dem Leben nach dem großen, glücklichen Tag? Das Einzige, was uns die Märchenautoren über das „Danach“ verraten, ist, dass sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage lebten. Cinderella, die Schöne und das Biest, Aladin, all diese Geschichten stoppen abrupt nach der Hochzeit. Am Punkt der höchsten Verliebtheitsphase. Mehr geht nicht mehr, das verrät die Dramaturgie ja eben, mit der Aussage, „lebten glücklich“, nicht von Höhepunkt zu Höhepunkt, sondern stetig linear.
Wie sieht das in der Realität aus? Vieles von der Verliebtheitsphase finden wir auch in Kunden- und Geschäftsbeziehungen wieder. Zu Beginn ist es aufregend, neu, ungewiss, interessant, einmal jedoch „für einander entschieden“, wird es ernst. Es gibt kaum ein Zurück nach dem Ja (Unterschrift des Arbeitsvertrages, neue Geschäftsbeziehung, … ), und die Erwartungen sind groß. Wie gelingt es, diese Erwartungen aus der Verliebtheitsphase im Geschäftsalltag zu erfüllen? Lässt sich der Charme des Unbekannten auch in diese zweite Phase überführen? Aus Märchen finden wir hierzu wenig Antwort. Schauen wir also in die reale Welt. Bevor es zur Hochzeit kommt, muss uns klar sein, dass man erstmal den richtigen Partner finden muss. Schaut man in Statistiken lässt sich sehen, dass 60-80 % der M&A Deals (Mergers & Acquisitions) scheitern. Einst eine Verbindung eingegangen, liegt die Fluktuationsrate in Deutschland im Handel, Immobilien, Erziehung und Bildung momentan bei 30-40 %. Knapp jede zweite Bindung löst sich demnach wieder. Gründe dafür?
Die Wahrscheinlichkeit den richtigen (Geschäfts-)Partner, Kunden oder Mitarbeiter zu finden und zu behalten ist demnach eine grosse Herausforderung, vielleicht so groß, wie es in Märchen zu Beginn dargestellt wird: Das Biest will die Schöne von sich überzeugen. Was macht den Erfolg der positiven Beispiele aus? Den Zauber der Verführung auch im Bekannten zu finden. Darwins zweite Evolutionstheorie: nicht der Anpasser (das wäre die Erste), sondern der Ästhet gewinnt. Die evolutionäre Ästhetik bezieht sich auf Theorien, die davon ausgehen, dass sich die grundlegenden ästhetischen Vorlieben des Homo Sapiens entwickelt haben, um das Überleben und den Fortpflanzungserfolg zu verbessern. Darwin spielt auf unsere Sehnsucht nach Variation an. Hier liegt für mich ein möglicher Schlüssel für ein Happy-Ever-After mit Höhepunkten und ohne Linearität. Die Verführung liegt in der Abwechslung, die auch in Bekannten geboten werden kann. Ob wir nun von Mitarbeitern, Kunden oder Geschäftspartner sprechen, Gleichheit und Wiederholung ist ein Killer für all diese Beziehungen. Lassen Sie uns kreativ werden und überlegen, was aus dem Einheitsbrei herausragen kann. Das Schlüsselwort ist Individualität. Arbeitsmodelle angepasst an den jeweiligen Mitarbeiter und seine Ausgangslage. Projekte, die maßgeschneidert auf den Kunden sind und keine Copy-Paste-Funktion haben. Genuine Gedanken, wie ein Künstler sie hat. Ich bin mir sicher, dass auch Ihre Frau oder Ihr Mann sich hin und wieder über etwas Abwechslung zum klassischen Blumenstrauß zum Valentinstag freut.
Was mich kürzlich inspiriert hat: Buddhist Ökonomie.
ch bin zufällig über den Begriff der Buddhist Ökonomie (nach dem deutschen Ökonom K.F. Schumacher, Buch: Small is Beautiful) gestolpert, die den Schwerpunkt auf dem Wohlbefinden aller Mitglieder und der Umwelt legt, anstatt auf dem Streben nach unendlichem Wachstum und Gewinn.
Die buddhistische Ökonomie sieht die Funktion der Arbeit darin, die eigenen Fähigkeiten zu aktivieren und zu entwickeln, das Ego und das Unternehmen loszulassen und Güter und Dienstleistungen für eine bessere (glücklichere) Existenz zu schaffen. Diese ökonomische Form misst einen hohen Lebensstandard nicht an mehr Konsum, sondern am optimalen Konsum bei geringstem Aufwand, so dass unsere Anstrengungen auf andere kreative Unternehmungen gerichtet werden können.
Klingt für mich stark nach Ansätzen, die die Generationen nach mir anspricht und worüber sich somit vermutlich jede HR Abteilung und jedes Management auseinandersetzt. Was kann das für Unternehmen und Unternehmer beispielsweise bedeuten?
- Ein Lohnsystem implementieren, das auf den Fähigkeiten und dem Beitrag jedes Mitarbeiters basiert
- Eine Unternehmenskultur fördern, die Mitarbeiter dazu ermutigt, ihre Arbeit als einen Beitrag zum Gemeinwohl zu betrachten, anstatt als bloße Einkommensquelle
- Eine offene und unterstützende Kommunikation pflegen, in der jeder Mitarbeiter sich einbringen kann und in der Entscheidungen auf dem Konsens der Beteiligten basieren
- Einen Teil der Gewinne in soziale oder kulturelle Projekte und wohltätige Zwecke investieren, um zur Verbesserung oder Bildung der Gemeinschaft beizutragen
Auch in der Buddhist Ökonomie finden sich Ähnlichkeiten zu meinem Märchen Beispiel zuvor. Es geht darum, sich aktiv einzubringen, nicht nur das Selbst in den Mittelpunkt zu stellen, sondern das Gemeinwohl. Was braucht “es” (das Ganze), um weitermachen zu können? Wo kann ich einen Beitrag leisten, der über die einfache Bedürfnisbefriedigung hinausgeht? Nachdem gerade noch Weihnachten war, mag der ein oder andere sich an die Weihnachtsgeschichte des kleinen Lord Fauntleroy erinnern. Dieser kleine Bub stellt bedingungslos das Wohl der Gemeinschaft in den Mittelpunkt, und steckt damit seinen alten und griesgrämigen Großvater an.
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Letter of Inspiration #14 - Vertrauen
Nach einer kleinen Pause, freue ich mich umso mehr Sie heute auf die Reise zum Thema Vertrauen mitzunehmen. Darüber hinaus gibt es meine kürzlich entwickelte Definition für Luxus, die ich in Vorbereitung auf eine Keynote in Hannover entwickelt habe. Viel Spaß beim Eintauchen.
Ein hohes Gut: Vertrauen.
Ein normaler Montagmorgen, ich gehe durch meine E-Mails und stolpere über die automatisch generierten LinkedIn Jobempfehlungen, die plötzlich mein Interesse geweckt haben. Nicht weil ich nach einem Job suche, sondern vielmehr, weil die ausgeschriebenen Stellen mich an Black Mirror erinnern. Eine Netflix Serie, die Zukunftsszenarien teils sehr dramatisch darstellt. „Culture and Well-being Manager“, „Community and Relation Specialist“ und „Head of Customer Engagement“. Für mich völlig neue Jobbezeichnungen, deren Bedeutung und Funktion ich neugierig nachgelesen habe. Es klingt nach einem weiteren Versuch den Menschen, also den Mitarbeiter und Kunden, in den Fokus zu rücken. Spannend hierbei ist, dass die Ausschreibungen nicht von den bekannten großen Tech-Unternehmen, wie Google oder Apple kamen. Von diesen Playern ist man es gewohnt, dass der Mitarbeiter eine zentrale Rolle spielt. Nein, ich spreche hier von alteingesessenen Konzernen, internationalen Beratungen und KMUs (Mittelstandsunternehmen). Was ist nur passiert? Steigen die Fluktuationsquoten unaufhaltbar? Wurde erkannt, wie essentiell der Mitarbeiter für den Erfolg einer Firma ist oder wie schwierig es ist Neue zu finden?
Der aktuelle Stellenmarkt ist eine Reaktion auf das, was in Unternehmen vor allem in der Pandemie deutlich wurde. Beziehungen brauchen Fokus und kontinuierliche Pflege. Würde Ihr Mann/Ihre Frau einmal im Jahr einen Newsletter mit dem neusten Update bekommen, würde Ihre Beziehung heute vermutlich woanders stehen. Aufmerksamkeit, persönliche Worte - etwas Echtes, danach suchen Menschen. Ergo auch Mitarbeiter und Kunden. Wie wir aus Partnerschaften lernen dürfen, ist der Aufbau und die Pflege einer Beziehung ein andauernder Prozess und nicht durch Einzeltaten erledigt.
Zwei Jahre Pandemie hinterlassen Spuren. Wir alle haben in dieser Zeit nicht nur gehofft, dass das Normal zurückkommt, sondern haben “unser Normal” auch in Frage gestellt. Ist die (Kunden-/Mitarbeiter-)Beziehung nicht stark genug gewesen, zerbrach sie an genau dieser Fragestellung. Die Aufgabe, die diese neuen Manager nun haben, ist eine fast utopische Disziplin, denn sie kämpfen gegen fundamentale Zweifel an bestehenden Konzepten. Culture Manager und Customer Engagement Manager werden gebeten, dort Vertrauen aufzubauen, wo es verloren gegangen ist oder nie da war. Vertrauen wieder zubekommen oder den Grundstein dafür zu legen - und auch das wissen wir aus privaten Erfahrungen - ist ein Prozess der Zeit braucht.
Die Chefsache
Loyalität, Selbstverantwortung, aktives Mitdenken und somit Mehrwert für das Unternehmen stiften, das bildet die Basis für das Vertrauen eines Unternehmers. Ein Culture Manager alleine kann das nicht schaffen, das muss ganzheitlicher betrachtet werden. Der Rahmen dazu kann nur vom Unternehmer oder CEO selbst kommen. Die gutgemeinten Neueinstellungen brauchen Klarheit über die Haltung des Unternehmers, damit sie “funktionieren” können. Eine klare Haltung beschreibt den unternehmerischen Geist in seiner Tiefe. Sie ist das unbewusste Gefühl, das einen Unternehmer leitet. Und genau dieses gilt es in Worte zu fassen.
Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf entstand vor vier Jahren die Idee für Zero Senses. Wir arbeiten mit Unternehmern und Führungspersönlichkeiten an der Verbalisierung ihrer Haltung und begleiten sie dabei, Wege und Strukturen zu bilden, dieser Haltung Ausdruck zu verleihen. Wie lässt sich intuitives Unternehmertum verwortlichen und somit mit Partnern, Kunden und Mitarbeitern teilen? Das wird die Grundvoraussetzung, für die besagten Neueinstellungen sein.
Es liegt auf der Hand, dass die unternehmerische Haltung nicht über Nacht identifiziert und intern verinnerlicht werden kann. Kurzfristige Lösungen funktionieren nicht, hier geht es um Tiefe. Auch Stil entwickelt man nicht über Nacht. Eine stilvolle Wohnung sieht nicht aus, wie in einem Möbelkatalog. Die Möbelstücke brauchen Geschichte und nicht nur ein Kaufdatum. Stil entwickelt man über Zeit, ebenso wie eine klare Haltung.
Was mich kürzlich inspiriert hat? Übertreibung.
Gerne wird von materiellem und immateriellem Luxus gesprochen. Ersterer wird als lauter Status-Luxus verstanden, bei dem sofort Bilder von schnellen Autos, Luxusyachten und weiteren Konsumgütern außerhalb des normalen Lebensstandard aufgehen. Dieser Luxus ist unmissverständlich mit Übertreibung verbunden.
Der leise - immaterielle - Luxus hingegen wird mit Ruhe, Selbstbestimmtheit und Reduktion assoziiert. Man könnte glauben, das genaue Gegenteil zu meinen. Jedoch kann diese Form des Luxuses sich im Extremfall auch in der Übertreibung wiederfinden. Beispielsweise, wenn ein Multimillionär mit einem Minimalbesitz von nur 64 Dingen „prahlt“ oder die Essenz eines üppig gedeckten Dessertbuffet sich plötzlich in Schäumchen und Essenzen in dem Nachspeiseschälchen der Sternegastronomie findet. Bei näherer Betrachtung findet sich auch im immateriellen Luxus die Übertreibung wieder, und zwar in der des unbedingten Minimalismus. Für mich ergibt sich hieraus eine neue Definition: Luxus bedeutet Übertreibung (in welcher Ausprägung auch immer). Und genau das war der Auslöser für meine Überlegungen zu einer neuen Form von Luxus. Fortsetzung folgt.
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Letter of Inspiration #13 - Verlust des eigenen Anspruchs
Feiertage im Allgemeinen, und vor allem die zum Jahresende, laden zu einem Rückblick ein. Neben Gedanken, was die Highlights und die weniger guten Momente waren, habe ich mich zum Ausklang gefragt, welche Folgen das neue Normal auf unsere Gewohnheiten hatte.
Verlust des eigenen Anspruchs
Unser gewohnter Alltag hat sich dramatisch verändert. Die Empfehlung im Home Office zu bleiben ist wieder aktiv. Zudem gilt für Treffen und alle Arten von Events ein ständiges Einlassen auf den Moment. Denn der lang geplante Anlass oder das Meeting muss möglicherweise doch in der letzten Sekunden abgesagt oder angepasst werden. Unsere Improvisationskraft ist mehr denn je gefragt, und nur wer permanent in Bewegung bleibt schafft es, nicht in der Vergangenheit der schönen, alten und Pandemie-freien Welt verloren zu gehen. All dieser Aufwand scheint uns die Energie für unseren Anspruch und die Freundlichkeit zu nehmen. E-Mails werden kürzer und die Antwortdauer immer länger. Die Anrede kann schon einmal verloren gehen, ebenso wie die Grußformel in einer Nachricht. Plötzlich sieht man die einstigen Anzugträger, die über den Paradeplatz in Zürich gelaufen sind, in Jeans und Rollkragenpullover. Die Restaurants, um dessen Plätze man sich für einen Mittagstisch in der Zürcher Altstadt sonst gedrängt hat, haben selbstverständlich, auch am selben Tag, noch etwas frei. Und den Anspruch an den eigenen Dresscode hat wohl jeder für sich selbst neu definiert. Das Revival der Jogginghose lässt grüssen.
Die Baubranche genießt eine Übernachfrage. Wenn man die Tage zuhause online und in Zoom Meetings verbringt, will man sich in der eigenen Blase zumindest wohl fühlen. Unser Einzug in die digitale Welt lässt uns unseren Anspruch aus der (alten) Realität vergessen. Weihnachtskarten, die früher noch per Hand unterschrieben wurden, kamen in diesem Jahr per WhatsApp, wenn überhaupt. Es wirkt, als würden sich viele fragen: Wofür das eigentlich noch? Hat die Pandemie dazu beigetragen ein neues Zeitalter einzuleiten, in welchem neue Regeln des Stils und Anstands definiert sind? Wurden wir freundlicher zu uns selbst und haben uns vergeben, dass wir nicht mehr jeden Morgen der Yoga- oder Workout-App folgen? Haben wir gelernt, dass es doch schön ist, Zeit mit den Menschen zu verbringen, die uns nahe sind, anstelle die Welt für andere oder ein übergeordnetes Ziel zu bereisen? Und hat das dazu geführt, dass wir beginnen Erfolg neu zu definieren? Stärker, höher, weiter scheint uns gleichgültiger zu sein - und auch online weniger greifbar. Doch was ist es dann, das uns in dieser neuen Phase wichtig ist?
Der Mensch sucht immer nachdem was er nicht haben kann. Die auferzwungene Spontanität führt womöglich dazu, dass wir uns Beständigkeit wünschen. Das kann in Form eines Wohnortes sein, gewohnter Produkte oder Beständigkeit im persönlichen Umfeld (Arbeit, Familie, Partner, Freunde).
Wie schafft man es aber als Unternehmer seinen Mitarbeitern und Kunden diese Beständigkeit zu geben, sollte die Frage sein, mit der wir uns Anfang 2022 befassen.
Mehr Inspiration dazu, gibt es hier.
Was mich kürzlich (nicht) inspiriert hat? Langeweile.
Konnte man früher noch Geschichten von den letzten Reisen oder Geschäftsterminen erzählen, tauscht man sich heute über den Bäcker, der das beste Sauerteigbrot backt, oder die neue Netflix Serie aus. Gespräche werden langweilig, es passiert nichts mehr. Unser Leben verliert ein Stück an Bedeutung, denn wir sind armer an Erlebnissen geworden.
„(…) In einer Gesellschaft, die daran gewöhnt ist, derartige Vergleiche zu ziehen, wird der allen sichtbare Erfolge zur Grundlage des Ansehens und zum Selbstzweck. Man demonstriert die eigene Leistung, um Prestige zu gewinnen und der Missachtung zu entgehen. (…)“ von Thorstein Veblen aus Theorie der feinen Leute.
Wir sind es nach zwei Jahren Pandemie nicht mehr gewohnt uns gesellschaftlich zu bewegen und Gespräche zu führen, was in der Definition nach Thorstein Veblen, ein Wirtschaftswissenschaftler aus dem 19. Jahrhundert, der als einer der Ersten über das Konsumverhalten nachdachte, die Schlussfolgerung zulässt, dass wir unseren gesellschaftlichen Status verlieren. Einziger Trost: Wenn das jedem so geht, definieren sich womöglich unsere Statussymbole bald neu.
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Letter of Inspiration #12 - Klarheit
In diesem Letter of Inspiration beschreibe ich am Beispiel von Milan Kunderas Werk „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ die Schwierigkeit, klare Entscheidungen zu treffen. Zudem inspirierte mich der Blick auf den Weinanbau. Denn wenn es um das Thema Geduld geht, ist diese Branche durch natürlich auferlegte Grenzen ein Rolemodel.
In dem berühmten Werk von Milan Kundera „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ beschreibt eine der Hauptcharaktere, Tereza, eine von Selbstzweifeln geplagte Frau, in einem Traum ihre Angst nicht zu genügen. Sie träumt davon, dass ihr Liebster, der Lebens-genießende Philosoph Tomas, sie auf den Petrin-Hügel in Prag sendet, wo ein Mann mit einem Gewehr drei Selbstmördern hilft sich umzubringen. Als sich der bewaffnete Herr ihr zuwendet, schreit sie auf „Es war nicht meine Wahl“ und ihr wird gewährt zu gehen. Erst in dem Moment, in dem es sprichwörtlich um Leben und Tod geht, übernimmt Tereza Verantwortung für sich selbst und trifft eine Entscheidung. Warum fällt es einem so schwer klare Entscheidungen zu treffen?
Es beginnt mit der Summe an Möglichkeiten, die uns geboten werden. Der routinierte Gang zum Café um die Ecke, der zum Verhörspiel am Morgen wird: Flat White? Klein oder gross? Welche Milch? Bar oder mit Karte? Und es zieht sich weiter in die darauffolgenden Sitzungen, wo es um zukünftige Investitionsentscheidungen, Einstellungen oder die Unternehmensstrategie geht. Es mangelt nicht an Optionen oder Meinungen, vielmehr gibt es zu viele. Die Kunst liegt darin herauszufinden, wie man eigentlich seinen Kaffee mag, kurz: Was man eigentlich will.
Das Ziel dabei ist nicht Perfektion. Wir sind keine Maschinen, noch lässt sich eine Entscheidung mit der Perfektionsgabe, wie die des Meisterfälschers Beltracchi treffen. Klarheit darüber, was man nicht mag, ist ein guter erster Schritt. „Es war nicht meine Wahl.“ Sprich: „Ich möchte nicht sterben“, schrie Tereza. Nun war das ein Traum, aber dennoch einmal weiter gedacht, kann man sich vorstellen, dass dieser Entscheid auf dem Petrin-Hügel weitere Folgen nach sich gezogen hat. Denn der Moment der Klarheit hat eine unheimlich befreiende Energie. Meistens ist diese Klarheit schon lange in uns vorhanden, gleichwohl neigt man zu zögern. Dies hat vielerlei Gründe: Man ist für die einhergehenden Konsequenzen noch nicht bereit, man hat Angst vor der Veränderung und dem Loslassen des Gewohnten, oder es fehlen (noch) die Worte zum Ausdruck. Eines darf man sich bewusst machen: Das Leben ist nicht statisch, sondern im Fluss. Ob man bewusst entscheidet oder die Strategie des Abwarten wählt, es fließt weiter. Die meiste Sicherheit findet man im Vertrauen in die kontinuierliche Bewegung.
Blicke ich zurück in die Vergangenheit, hat keine meiner Entscheidung je etwas Schlechtes gebracht. Veränderung ja, aber das passiert eben, wenn man sich bewegt. Der Kontext verändert sich. Ein Werkzeug, welches Halt und Klarheit in der kontinuierlichen Bewegung gibt, ist eine geschulte Intuition. Wie sich diese schulen lässt, darf ich am 27. Oktober bei einem Vortrag am Senior Management Programm der Hochschule St. Gallen teilen. Details dazu gibt es im Anschluss auf meiner Website.
Im Magazin „Zukunftsbeweger“ der Globalance Bank schreibe ich in meiner aktuellen Kolumne über die Stabilität in der Bewegung. Hier geht es zum Beitrag.
Was mich kürzlich inspiriert hat? Geduld.
Soeben wurden die letzten Weinberge geerntet und die Hauptarbeit im Weinkeller ist abgeschlossen. Nun heißt es warten. Denn das Arbeiten mit der Natur lässt keine kurzfristige Anpassung zu, noch lässt sich die Ernte wiederholen oder Fehler ausbessern. Es herrscht eine Abhängigkeit und damit einhergehend ein Hoffen, dass die Natur es gut mit den Winzern meint. Denn der nächstmögliche Versuch ist erst wieder in einem Jahr. Die Natur gibt die Geschwindigkeit vor und wir haben zu folgen.
Was mir dieses Beispiel zeigt, ist nicht nur die Abhängigkeit von externen Einflussfaktoren (denn die gibt es überall), es zeigt mir auch das Level an Klarheit, das es braucht, um dieses kostbare Produkt zu produzieren. Möchte ich beispielsweise einen eleganten, schlanken Wein mit wenig Alkohol, der im Geschmack eher dunkle Beeren oder gar Tabak hat oder etwas ganz anderes? Welche Rahmen (Anbau, Ausbau und Produktion) braucht es, damit mir das gelingt? Und selbst wenn ich all das visualisieren und ausdrücken kann, muss ich dennoch abwarten, um zu sehen, ob meine Strategie aufgegangen ist. Denn das fertige Ergebnis zeigt sich erst in der Flasche. Geduld ist eine Eigenschaft, die uns in der Geschäftswelt oftmals abhanden gekommen ist.
Ich wurde geschäftlich so konditioniert, dass Gedanken sofort umgesetzt werden sollen. „Fail fast“ ist die Mentalität, die uns aus dem Silicon Valley vorgegeben wird. Ist das so? Brauchen gute Ideen, so wie gute Tropfen, nicht Zeit zu reifen, um dann ihr volles Potential zu entfalten? Im Wein ist das mit Sicherheit so, und ich glaube auch im Geschäft.
Der Sommer ist nun spürbar vorbei und die dunklen und kühlen Monate haben begonnen. Zeit zur Reflektion und Auseinandersetzung. Möge dieser Letter of Inspiration dazu anregen und neue Gedanken anstoßen.
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#11 Letter of Inspiration - Flucht in die Sicherheit
In diesem Letter of Inspiration teile ich meine These, warum die Post-Pandemie uns eher lethargisch macht und wie dies damit zusammenhängt, dass wir Menschen gerne den einfachen Weg gehen. Neben den Gedanken zur Flucht in die Sicherheit schreibe ich darüber, wie Tiefe den Kontext auflösen kann. Viel Spaß beim Lesen!
Flucht in die Sicherheit
Die Reaktionen der Post-Pandemie sind anders als erwartet. An jeder Ecke höre ich von Kündigungen, Motivationsschwierigkeiten und Erschöpfungserscheinungen. Nicht nur in den grossen Beratungen, wo häufige Zu- und Abgänge keine Seltenheit sind, sondern überall. Es scheint nicht so, als hätten alle darauf gewartet, dass es wieder losgeht, der Tatendrang fällt verhalten aus. Nein, vielmehr noch beobachte ich eine Flucht, ein Weglaufen aus dem Bekannten. Womöglich weil die Zeit, in der sowohl private als auch berufliche Parameter anders als sonst waren, Fragen aufgeworfen hat, die den Status-Quo kritisch hinterfragt haben. Nun könnte man meinen: zum Glück. Lief doch so vieles zu achtlos an uns vorbei; Klimawandel, Digitalisierung, KI, … Alles ist irgendwie gleichzeitig passiert. So dass wir fast keine Chance hatten uns darüber Gedanken zu machen, geschweige denn eine klare Haltung zu diesen Themen zu entwickeln.
Die veränderten Rahmenbedingungen der letzten Monate, haben die Möglichkeit für die grossen Fragen angeboten. Wo ist mein Platz in Mitten all der Verädnerung? Was sind meine Stärken und bringe ich diese wertstiftend ein? Man könnte daher annehmen, dass die erhöhten Fluktuationsquoten ein Indiz dafür sind, dass die Menschen ihren Bedürfnissen, Wünschen und ja, vielleicht auch Lebensträumen (endlich) nachgehen. Es gab den Moment der Erleuchtung und somit der Klarheit darüber, was man eigentlich will.
Doch statt eines Ansturms auf die eigenen Ideale, höre ich in Gesprächen eher Gegenteiliges - die wenigsten folgen ihrem Weg, sondern treten vielmehr den Weg in die Sicherheit an. Der sympathische Kellner wird zum Call Center Agent (und freut sich über geregelte Arbeitszeiten), die einstige Architektin sucht sich einen Job in der Verwaltung (wo der Akquise-Druck verschwindet), und der Gründer wählt doch wieder die scheinbare Sicherheit, die ein Corporate Job bieten kann.
Was mich daran überrascht ist die Tatsache, dass ich nicht glaube, dass dieser Schritt die Folge einer ehrlichen Auseinandersetzung mit sich selbst ist, sondern doch eher die Wahl der naheliegendsten, einfachen oder logischen Lösung für etwas, dass, wenn weiter damit befasst, nur anstrengend werden würde. Was mich kritisch hinterfragen lässt, wie nachhaltig diese neu gewählten Wege sind? Folgt in einem Jahr dann eine zweite Welle - nicht Corona - sondern eine, die die Sinnfrage erneut aufwirft?
Der Schritt vor den Spiegel
Der Mensch ist so strukturiert, dass er den einfachsten Weg geht. Deswegen stellen wir uns im Supermarkt auch klassischerweise an der längsten Schlange an, denn bei allen anderen könnte etwas nicht stimmen. Dort hinten, wo schon viele warten, das scheint richtig, denn die können nicht alle falsch liegen. Auch lassen sich in Parkanlagen über die Zeit kleine Trampelpfade erkennen, die andeuten, dass es uns logischer erscheint, gewisse Wege abzukürzen. Wir wollen nicht unnötig nachdenken und auch nicht unnötige Meter gehen. Meine Angst ist, dass wir dieses Muster sogar auf unsere Lebensentscheidungen übertragen.
Würde sich der extra Schritt oder intensivere Gedanken denn nicht gerade wenn es um die eigene Zukunft geht lohnen? Wissend, dass die Auseinandersetzung mit dem „was man wirklich will“ keine einfache ist, bin ich dennoch überzeugt, dass es eine Frage ist, die es sich lohnt zu stellen. Gerade in Zeiten von Unsicherheit ist das logisch Wirkende nicht zwingend das Richtige. Man darf den Weitblick jetzt nicht zu verlieren, sondern sollte sich die Zeit und Musse nehmen, aus der Veränderung heraus zu gestalten. Neue Gedanken, einen angepassten Lebensstil, ein neuer Job, all das: ja! Aber doch bitte basierend auf den eigenen Wünschen und Bedürfnissen und nicht aus dem Treiber oder der Hoffnung auf Sicherheit. Wenn uns diese Pandemie etwas zeigt, dann dass nichts sicher ist. Das Vertrauen in sich selbst haben wir jedoch in der Hand, und das wird unser wichtigstes Werkzeug für die nächsten Monate und Jahre sein.
Wie man dieses Werkzeug einsetzt und trainiert, bieten wir vom 21. bis 23. Oktober beim Zero Senses Retreat „Cultivating Presence“ an. Wer momentan nach neuen Impulsen und Inspiration sucht, sollte sich einen Platz sichern.
Was mich kürzlich inspiriert hat: Tiefgang löst Kontext auf.
Ich habe mich neulich in einem Umfeld wiedergefunden, welches ich für mich selbst niemals bewusst ausgesucht hätte. Bröckelnde Wände, ein Bett, das nur eine Matratze am Boden war, und ein Grad an Sauberkeit, der nach Schweizer Massstäben wohl als ungenügend durchgegangen wäre. Und tatsächlich habe ich eine der schönsten Woche seit langem erleben dürfen. Woran liegt das?
Der Künstler James Turrell hat einmal in einem Interview gesagt, “Zuhause ist wo meine Community ist”. Heimat hat für diesen Raum- und Licht-Künstler keine Bedeutung im geografischen Sinne. Sie kann überall dort sein, wo er eine tiefe Verbundenheit mit seinem Umfeld verspürt. Das wurde mir in meinem Beispiel sehr deutlich. Die Gruppe an Menschen und die Tiefe der Verbundenheit ist das, was den Kontext irrelevant werden lässt. Meine These: je stärker die Beziehung, desto irrelevanter wird der Kontext.
In eigener Sache…
Kürzlich ist ein Beitrag von mir im St. Moritz Automobile Club Magazin (SMAC) erschienen. Ganz passend zu dieser Ausgabe des Letter of Inspiration, denn ich schreibe über “Das gute Leben”.
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#10 Letter of Inspiration - Einsamkeit
Die allgemeine Auseinandersetzung mit dem Alleinsein war wohl lange nicht mehr so präsent wie in den vergangenen Monaten. Kann das Aushalten von Einsamkeit gar etwas Positives haben und unseren Charakter stärken? Neben meinen Gedanken hierzu findest Du in der 10. Ausgabe des Letter of Inspiration auch einen aktuellen Beitrag aus der Handelszeitung, sowie ein Podcast Interview zu Intuition und Leadership. Viel Spass beim Lesen und Zuhören!
Einsamkeit
Alleinsein will gelernt sein. Das ist keine Floskel, sondern trifft auf jeden zu, der es schon einmal gewagt hat, alleine in den Urlaub zu fahren oder alleine in ein Restaurant zu gehen. Der erste Moment ist ungewohnt, es fühlt sich seltsam an, ja vielleicht sogar unnötig und falsch. Alles nachvollziehbar. Aber hat sich das erste Mal auf dem Fahrrad, ohne Stützräder mit dem Vater nebenher laufend, der langsam den Sattel loslässt, nicht auch seltsam angefühlt? Der Moment des alleine „Fliegens“ ist das, wovor wir Respekt haben. Gleichzeitig eröffnet dies auch eine neue Welt. Denn plötzlich sind wir, wie im Falle des Fahrradfahrens, flexibler, unabhängiger und kommen schneller von A nach B.
Das Momentum die Unsicherheit zu überwinden gleicht einem Software-Update. Nur mit dem Unterschied, dass wir uns, um das nächste Level zu erreichen, bewusst bewegen und nicht nur einen Button drücken müssen. Entwicklung passiert nicht einfach so, sondern wir sind gezwungen uns aktiv dafür zu entscheiden. Und dann ist da natürlich die Ablenkung: das Leben, mehr oder weniger angenehm, ganz gewiss jedoch gewohnt. Freunde, Kollegen, Familie, die bekannten Witze, Spass in der Routine der gesellschaftlichen Verpflichtungen und Freuden. Genuss, Konsum und Gemeinschaft haben etwas verführerisch Ablenkendes.
Ähnlich, wie das iOS Update, passt Alleinsein (die persönliche Entwicklung) nie in den Alltag. Keine Zeit für ein Back-up oder den PIN gerade nicht zur Hand. Es gibt unzählige Gründe auf “remind me later” zu klicken. Der eigentliche Treiber mag jedoch ein Ausweichen dieses kurzen Moments der Leere (Unsicherheit/nicht wissen was passiert) sein, der entsteht, wenn wir etwas ausserhalb unserer Routine tun.
Wenn man an die Momente denkt, die einen geprägt haben, kommen - zumindest mir - immer Erlebnisse in den Sinn, in denen ich auch etwas gewagt habe. Der Gang in ein Meeting, in dem ich den Ausgang bereits kenne oder der jährliche Familienurlaub in Italien - eher nicht. Der Glaube, dass wir nicht alleine sind, wenn wir mit vielen sind, ist ein Trugschluss, den wir uns gerne einreden. Fakt ist, dass wir Entscheidungen alleine treffen, immer und immer wieder. Wir tragen auch die Konsequenzen oder Früchte alleine - z.B. schneller von A nach B zukommen.
Bewusster Genuss
Arthur Schopenhauer, Deutscher Philosoph, hat das menschliche Dilemma bereits im 19. Jahrhundert auf den Punkt gebracht, als er den Mensch als Stachelschwein bezeichnet hat: ‘Kommen wir einander zu nahe, riskieren wir, uns zu verletzen, doch wenn wir zu grossen Abstand halten, riskieren wir Kälte und Einsamkeit.’
“So treibt das Bedürfnis der Gesellschaft (...) die Menschen zueinander; aber ihre vielen widerwärtigen Eigenschaften und unerträglichen Fehler stossen sie wieder voneinander ab. (...) Wer jedoch viel eigene, innere Wärme hat, bleibt lieber aus der Gesellschaft weg, um keine Beschwerde zu geben, noch zu empfangen.”
Könnte Einsamkeit nicht etwas Schönes sein? Den eigenen Gedanken frönen? Einem Dinner beiwohnen, bei dem man weder von Gesprächen noch einen ansprechenden Gegenüber abgelenkt wird, sondern es alleine - bewusst - mit allen Sinnen geniessen und erleben darf? Wie bei allem im Leben geht es auch hier um die Balance. Was ich aus diesem Gedanken mitnehme ist Balance entstehen zu lassen, in dem man wieder wagt. Wagt den Moment des Alleinseins zuzulassen und sinnlich zu geniessen. Es wird sich mit mehr Klarheit in unseren Geschäftsentscheidung auszahlen.
Was mich kürzlich inspiriert hat: Gerhard Richter - Landschaften.
Richter gilt als einer der bedeutendsten lebenden Künstler. In seiner Ausstellung Landschaften im Kunsthaus Zürich werden momentan Werke von 1963 bis 2018 gezeigt. Es ist bereichernd, was man für das tägliche Sein und Arbeiten von diesem Ausnahmekünstler lernen kann. Richter findet, wir haben ein zu perfektes Bild der Natur. Es ist weit mehr, als was die Kamera zeigt, es ist mehr, als was wir aussuchen und zeigen wollen. Es geht über den reinen, künstlich gewählten, Ausschnitt hinaus. Ebenso wie unser Leben. Es ist komplexer als manch einer sehen oder zeigen mag. Der Kreationsprozess für den Ausdruck der eigenen Realität funktioniert im Wechselspiel: Wie viel geht? Und wann ist es zu viel? Wir sind immer auf der Suche nach der passenden Balance. Wie stark kann eine Abstraktion einer Landschaften sein, um immer noch als Landschaft wahrgenommen zu werden? Welche Elemente eines Stadtbildes sind entscheidend, um die Stadt noch als solche zu erkennen?
Ein schönes Beispiel für ein Briefing- oder Mitarbeiter-Gespräch. Wie viel darf ich vorgeben, um am Ende nicht mit dem Anspruch meiner eigenen Perfektion konfrontiert zu werden und wie viel darf ich sagen, um am Ende einen sicheren Rahmen zur Entfaltung, sprich dem selbstständigen Arbeiten zu geben? Ein Beispiel aus Richters Ausstellung anbei.
In eigener Sache...
Die Themen Einsamkeit und Haltung sind nicht nur in diesem Letter of Inspiration Leitplanken meiner Gedanken gewesen, sondern finden sich auch in meinem kürzlich veröffentlichten Beitrag in der Handelszeitung wieder.
Und zu guter Letzt empfehle ich für die nächste Auto- oder Zugfahrt dieses Podcast Interview. Jonathan Sierck, Initiator vonMorgen, stellte mir spannende Fragen zum Thema Intuition und was das mit Leadership zu tun hat. Auf Spotify oder Apple Podcast.
Ein Auszug:
„Es ist wichtig, dass wir Dinge nicht von externen Einflüssen heraus entscheiden, sondern uns wieder mehr auf uns selbst verlassen, und somit auch beweglicher Entscheidungen treffen können, die nicht abhängig, sondern stark aus uns selbst getrieben sind.“
– Tanja Schug in Gespräche vonMorgen – Episode 38
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#9 Letter of Inspiration - Ausbruch aus der Standardisierung
Warum ich die Romantik-Epoche als Inspiration für die gegenwärtige Situation empfinde habe ich in dieser Ausgabe in 3 Thesen verdichtet. Zudem hat mich die Einstellung des bekannten Psychoanalytikers und Autors - Irvin D. Yalom - zum Thema 'Auszeit' fasziniert. Mehr lesen Sie in meinem #9 Letter of Inspiration. Viel Freude dabei.
Die Romantik heute
2021 wird rosa-rot und kitschig? Nicht ganz, denn die Romantik in ihrer ursprünglichen, klassischen Bedeutung hat nichts mit grossen roten Herzen und öffentlichen Heiratsanträgen zu tun. Die Romantik war im 19. Jahrhundert der künstlerische Aufschrei nach einem Ausbruch aus den Ketten der damaligen Standardisierung. Dies zeigte sich vor allem durch den Wunsch nach Individualität als Gegenentwurf zur herrschenden Industrialisierung. Spürbar wurde dieser Ausbruch durch reichlich Drama. In der bildenden Kunst etablierten sich als zentrale Motive das Schaurige, Unterbewusste, Fantastische, Leidenschaftliche, Individuelle, Gefühlvolle und Abenteuerliche, welche die Grenzen des Verstandes sprengen und erweitern sollten und sich gegen das bloße Nützlichkeitsdenken sowie die Industrialisierung richteten. Die intensive Nutzung von Farbe ist ein Symbol der romantischen Maler. Intensive und dramatische Sonnenaufgänge, fast zu schön, um wahr zu sein. Oder wie bei einem der bekanntesten Bilder dieser Epoche: Caspar David Friedrich und “Der Wanderer über dem Nebelmeer”. Damit dramatisierte er das Künstler-sein selbst. Das gequälte Genie, welches ganz oben am Gipfel und gleichwohl auch am Rande der Existenz steht. In diesem Werk symbolisiert durch einen Abgrund, der durch dicken Nebel ein Durchblicken verwehrt und dennoch im Weitblick Hoffnung suggeriert. In dieser Epoche entstehen Motive, die bis heute Sehnsüchte wecken. Nach einem besonderen Jahr wie 2020, das grundsätzliche Fragestellungen hervorbrachte und Bestehendes hinterfragen liess, werden gewisse Sehnsuchtsgedanken auch bei uns lauter. Man sehnt sich plötzlich nach dem Schönen, Echten, Tiefen wieder, etwas das einem Halt und Stabilität gibt.
Das "Ich" wird wichtig
Eine verstärkte Suche nach Bedeutung lässt sich seit Längerem als Trend, nicht nur bei der jüngeren Generation, feststellen. Bei Job-Interviews fragen Bewerber nach den Werten des Unternehmens und zeigen Interesse zu dessen sozialer und gesellschaftlicher Verantwortung. Denn heute steckt hinter einem Job vielmehr als ein Titel oder eine Rolle, die man mit Arbeitsantritt beginnt zu erfüllen. Es geht um eine klare Haltung und die muss zu den eigenen Überzeugungen passen. Im ersten Schritt setzt das Klarheit über sich selbst voraus und führt mittelfristig auch zu Abgrenzungs-Effekten, im beruflichen sowie im privaten Umfeld. Seinen Charakter ausleben schafft Grenzen, zieht jedoch ebenso Gleichgesinnte stärker an.
Der innere Ruf etwas sinnvolles zu tun zeigt sich auch in den der kontinuierlich steigenden Zahl der Firmenneugründungen. In der Schweiz waren es +5.3 % von 2019 auf 2020, wobei 2019 bereits als Rekordjahr galt. Es lässt sich eine Mentalität des Kreieren und Erschaffen beobachten. Ja, diese Werte machen eine Entwicklung zum „Eigenen“ deutlich. Ob das nun daran liegt, dass Unternehmen womöglich nicht die passenden Antworten auf die Sinn- und Bedeutungs-Frage haben, oder ob es daran liegt, dass der Wunsch nach dem Ausbruch aus dem klassischen Karriere-Rad grösser wird lässt sich nur vermuten. Feststeht, dass in den letzten Jahren in vielen Bereichen ein hoher Wert auf Standardisierung gelegt wurde, denn alles was standardisiert ist, bringt Skalierbarkeit. Oh ja, dieses wundervolle Wort. Skalierbarkeit. Die Fähigkeit des Systems oder Unternehmens zum Wachstum. Das sich hier eine gewisse Parallele zur beschriebenen Romantik-Epoche erkennen lässt, halte ich für eine spannende Erkenntnis. Somit überrascht auch nicht der Anstieg der Firmengründungen. Doch welche Gründe kann das haben? Drei Thesen:
1. Ausdruck der eigenen Individualität
Ein Ausbruch aus bestehenden Gedankenmuster, auch getrieben durch die Unsicherheit, die vor uns liegt. Die Fragestellung nach “Wie kann das, was ich tue, einen Unterschied machen und für wen?”, verdrängt die Frage nach Wachstum und mehr Geld. Der Fokus auf die eigenen Werte lässt einen auch genügsamer werden, denn es beantwortet die Frage, was man eigentlich wirklich braucht, sehr ehrlich. Es lässt sich ein Herausschälen des eigenen Charakter beobachten und das beginnt im kleiner werdenden Kleiderschrank sichtbar zu werden, oder im Ausmisten des Büro oder Wohnzimmers: Wir machen uns leichter, oder wir gewinnen an Profil.
2. Zeitalter der Künstler
Mit Ungewissheit und Unsicherheit umzugehen ist man im geschäftlichen Alltag kaum gewohnt gewesen. Unsere letzten Jahre waren doch mehr oder weniger planbar, denn die wirklich grossen Veränderungen hatten sich vielleicht angedeutet, aber (noch) nicht gezeigt. Es ging schon immer noch irgendwie. Nun gab es 2020 einen Verstärker und viele Branchen, somit auch Jobs, werden unsicher und vielleicht sogar in dieser Form nicht wieder zurückkommen. Bei Gesprächen mit befreundeten Künstlern hörte ich vermehrt fast scherzhaft: „Das ist nichts Neues für uns“. Künstler sind es gewohnt Unsicherheit auszuhalten, manchmal kann dieses Gefühl sogar ein Treiber für Kreation sein. Diese Einstellung lässt einen für 2021 gewappnet sein.
3. Der Wunsch verzaubert zu werden
Wir haben das Magische in unserem Miteinander und Tun verloren. Ich spreche bewusst von Magie, denn was einem die Standardisierung auch bringt, ist trockene und schonungslose Transparenz. Vieles ist vorhersehbar und dadurch ist uns der Zauber abhanden gekommen. Die Gabe einen magischen Moment zu kreieren, konnten wir soeben erst an Weihnachten in den Kinderaugen erleben. Die unbändige Vorfreude auf das, was das Christkind wohl bringen wird haben. Wie schaffen wir dieses Leuchten auch in unseren Augen wieder zu entzünden? Die Beantwortung dieser Frage wird für 2021 unser aller Hausaufgabe sein.
Was können diese Thesen für den Einzelnen bedeuten?
- Kreieren und zelebrieren individueller Gedanken
- Lernen unabhängig zu denken, ausserhalb bestehender Rahmen
- Die Kunst einen Kontext zu kreieren und zu kultivieren
Wie gelingt das? Mit Selbst-bewusstsein, im aller wörtlichsten Sinne.
Was mich kürzlich inspiriert hat: Die Kraft der Auszeit.
Die Biografie von Irvin D. Yalom, einem der wohl erfolgreichsten Psychoanalytikern unserer Zeit, sowie Autor von Bestsellern wie „Und Nietzsche weinte“, hat mich beim Lesen immer wieder überrascht. Eine wiederkehrende Beobachtung hat mich jedoch insbesondere fasziniert. Yalom, der 89 Jahre alt, verheiratet und Vater von 4 erwachsenen Kindern ist, hat neben der Selbstanalyse in dieser Biographie recht ausführlich dargestellt, was es braucht um etwas zu kreieren. Yalom, der Professor an der Stanford Universität war, hat jedes Mal, wenn er sich einem neuen Thema, wie seinem Lehrbuch zur Gruppentherapie, der existentiellen Psychotherapie, oder einem seiner zahlreichen Romanen widmete, eine Auszeiten von bis zu 6 Monaten von seinem Alltag genommen. In diesen Pausen ist Yalom mit seiner Frau Marilyn, die Professorin für französische Literatur war, verreist. Er hat mehrfach in seiner Biographie betont, wie wichtig dieser Tapetenwechsel für das Öffnen der eigenen Perspektive war. Von Yalom kann man sicher vieles lernen, jedoch diesen einfach wirkenden Punkt, kann man direkt adaptieren. Kreation braucht Raum und Zeit. Und dass das nicht nur auf Künstler zutrifft, sondern auch für Wissenschaftler und Unternehmer, zeigt Professor Yalom mit seinen unzähligen verkauften und in mehreren Sprachen übersetzten Büchern als inspirierendes Beispiel.
In eigener Sache...
Ich habe mich kürzlich sehr gefreut, als in der Zürcher Sonntagszeitung ein Artikel über “Die Bedeutung von Arbeit” von mir erschienen ist. Wenn Sie den Artikel verpasst haben, können Sie ihn hier online finden oder mir einfach eine E-Mail senden, um eine Kopie zu erhalten.
Schön, dass Sie sich für diese Episode des Letter of Inspiration interessiert haben! Sollten diese Gedanken für Freunde oder Kollegen interessant sein, leiten Sie diese Nachricht gerne weiter.
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#8 Letter of Inspiration - Entwicklung in Krisenzeiten
In diesem Letter of Inspiration findest Du Gedanken zur Entwicklung in risikoreichen Zeiten, sowie was sich hinter dem oberflächlichen Deckmantel von Schönheit befindet. Zudem teile ich eine radikale Betrachtung, in der ich Kunstwerke als Beiprodukt persönlicher Entwicklung beschreibe. Viel Freude beim Lesen
Eine grundlegend menschliche Kompetenz
Viele (Geschäfts-)Modelle gehen von bereits Bekanntem aus. Der Referenzpunkt ist die Vergangenheit. Dieser Punkt wird genutzt, um Risiko abzuschätzen, für Analysen oder um die Unternehmensplanung für das kommende Jahr zu machen. Bewährte, quantitative Modelle sind jedoch überfordert, sobald es um Unvorhergesehenes oder erstmalige Ereignisse, wie eine Pandemie geht. Dann braucht es Fachleute. Was es aber noch viel mehr braucht, ist die eigene Intuition. Denn die wird Unternehmern bei der Neuausrichtung und der Übersetzung der bestehenden Unternehmung in ein neues Umfeld dienlich sein.
"Intuition ist eine grundlegende menschliche Kompetenz und darf deshalb durchaus Bestandteil eines professionellen Risikomanagement sein.”
- sagte Dr. Nikolaus von Bomhard, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Munich Re, in einem lesenswerten Beitrag in der FAZ aus 2016. FAZ Artikel hier.
Das Folgen der eigenen Intuition hat noch einen Vorteil: Das Erschaffen von neuen Gedanken, Ideen und Visionen aus sich selbst heraus macht unabhängig. Denn sie sind losgelöst von externen (Einfluss-)Faktoren wie Analysen, Gewohnheiten und Einschätzungen anderer. Natürlich ist es angenehm, sich durch andere oder äußere Faktoren abzusichern. Doch die scheinbare Sicherheit, die mit den externen Fakten kommt, sieht auf dem Papier gut aus, kann sich im Ernstfall jedoch rasant schnell auflösen. Diese Pandemie ist ein Beispiel hierfür: Nicht vorhersehbar, jedoch hat sie essentiellen Einfluss auf unser aller (Geschäfts-)Leben. Eine bewusste Intuition ist wie eine starke Rumpfmuskulatur, sie gibt Stabilität, lässt einen jedoch beweglich auf Veränderungen reagieren.
Künstler, in ihren kreativen Prozessen, verlassen sich auf diese innere Stimme der Intuition. Günther Uecker, ein Mitglied der ZERO Kunstbewegung, die sich einem künstlerischen Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg verschrieben hat, beschrieb das wie folgt:
“Da ist etwas, und es findet noch keinen Ausdruck in meinen Werken, aber ich weiß, dass es ist, (...). Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin dem nah, aber ich weiß nicht, was es ist, (...).”
Der schöpferische Prozess ist weder in der Kunst noch in der Wirtschaft ein leichter. Etwas Neues zu wagen und zu erschaffen erfordert Mut, freies Denken, Raum und Zeit, diesen Gedanken nachzugehen. Einschränkungen, vorgezeichnete Wege und rückwärtsgewandtes Wissen sind in diesem Prozess eher eine eiserne Kugel am Fußgelenk, die einen vom Weiterkommen abhält. Sich von dieser schweren Kugel zu befreien - loszulassen - ist die wahre Herausforderung, aber auch eine Chance.
Die weiße Leinwand
Warum sollte ein (neuer) Weg, der weder einfach scheint, noch Erfolg garantiert ein erstrebenswerter sein? Die Sicherheit, die uns Gewohntes zu geben scheint, ist eine fiktive Garantie basierend auf dem Konzept der Hoffnung. Einmal die Oberfläche dieser Illusion durchbrochen, zeigt sich, dass die Strategie der Hoffnung weder sicher noch zukunftsfähig ist.
Ist das Gefühl von Sicherheit nicht vielmehr ein oberflächlicher Mantel, der einen nach aussen Selbstsicherheit und gar Anziehungskraft (=Schönheit) ausstrahlen lässt? Doch auch das Schönste verliert einmal seinen Glanz; ganz aktuell, wenn es den Boden der Realität berührt. Diese Pandemie-Situation hat etwas unglaublich Entlarvendes. Oberflächlich Schönes, bspw. bei sogenannten Erfolgskonzepten, beginnt zu bröckeln und es gibt nun zwei Wege damit umzugehen. Zum einen den Schein noch eine Weile aufrechtzuerhalten oder zum anderen, aufzubrechen und nach dem wahrlich “Schönen” zu suchen. Zweiteres beginnt mit der Suche nach Abweichungen von der Norm. Merkmale, die über das Glatte, Schöne und Perfekte hinausgehen. Oftmals führt das zum Ursprung zurück, zum Anfangspunkt, der Treiber, der ein Unternehmen, einen Unternehmer oder ein Konzept erfolgreich gemacht hat.
Was meine ich damit? Die Art und Weise wie man sich orientiert und sich einen Weg merkt, ist nicht über den Versuch, sich identisch wirkende asphaltierte Straßen einzuprägen. Man sucht nach markanten Bezugspunkten in der Umgebung: ein spezielles Haus, einen alleinstehenden Baum, ein besonderes Ladengeschäft oder ein dominantes Schild. Genau nach dieser Markanz lohnt es sich zu suchen, wenn man sich am einfach Schönen satt gesehen hat bzw. das nicht mehr genügt (unvorhersehbare Veränderung). Der Weg aus dem gewohnten, fiktiven Erfolgsmuster hin zu einem starken, klaren, eigenen Erfolgsweg, beginnt indem man die eigene Oberfläche durchbricht und nach Markanz bei sich selbst beginnt zu suchen. Das lässt einen von der generischen, asphaltierten Straße zum Merkmal werden: „You start building your own statue“. In der Kunst würde man davon sprechen, dass der Künstler seinen eigenen Stil entwickelt, in der Geschäftswelt möchte ich das Haltung nennen. Diese Haltung bildet einen wichtigen Teil der “Rumpfmuskulatur” die einem Stabilität in krisenreichen Zeiten gibt.
In diesem Podcast-Interview vertiefe ich den Gedanken, wie sich das Bauchgefühl stärken lässt, wie das zur eigenen Haltung führt und somit aktiv für die Geschäftsentwicklung eingesetzt werden kann.
Was mich kürzlich inspiriert hat: Loslassen können.
Ich habe mich mit dem Endprodukt der künstlerischen Kreation befasst: dem Kunstwerk selbst. Dabei ist mir klar geworden, dass das, was wir als Kunst oft bewundern, etwas ist, das dem Künstler selbst oft gar nichts mehr bedeutet. Die sichtbare Kunst ist eine Form des Ausdrucks eines Entwicklungsprozesses, der sich wiederholt oder weiterentwickelt ab dem Moment der Erschaffung. Einmal in diesem Rhythmus eingestiegen, hält man sich nicht mit dem Betrachten des schönen Endprodukts auf, man entwickelt sich weiter. Radikal formuliert, kann Kunst als Beiprodukt emotionaler und persönlicher Entwicklung bezeichnet werden. Der Künstler ist bereits einen Schritt weiter, während wir noch seine ‘alte Haut’ bestaunen. In der Geschäftswelt ist es oft umgekehrt: Loslassen fällt schwer. Hat man einmal etwas ‘erschaffen’, möchte man es bewahren. Weiß man doch zu genau, wie viel Energie in das Unternehmen, das Produkt oder das Team geflossen ist.
Hier darf man mutig auf die Kunstwelt blicken: Die weiße Leinwand - die Leere des Neubeginns - kann auch als Raum von Potential zur Weiterentwicklung gesehen werden. Der Moment etwas Neues zu wagen, ist die weiße Leinwand. Und der erste Schritt, ist wie der erste Pinselstrich, der Schwierigste von allen. Erik Brynjolfsson, Professor Stanford University, sagte einmal in einem Vortrag:
"Sometimes you have to kill your darlings"
Neue Wege zu gehen erfordern loslassen zu können. Brynjolfsson meint, dass erst dann wirklich großartige Dinge entstehen. Das soll keine Aufforderung zum Loslassen von allem was einem lieb ist sein, sondern ein Impuls zum Nachdenken, was man manchmal zwanghaft festhält und einen davon abhält den ersten Pinselstrich auf der nächsten weißen Leinwand zu machen. Beantworte für dich selbst einmal die Frage, was das Schlimmste ist, das passieren kann, wenn du zum neuen Pinselstrich ansetzt?
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