“Es geht immer um Atmosphäre"

— Yusuf Sert

Tour of Inspiration: Die Idee

Die Tour of Inspiration ist ein Spaziergang verbunden mit kuratierten Erlebnissen. Dieser Weg dient dazu, die eigene Perspektive zu öffnen und mit neuen Impulsen strategische Geschäftsentscheidungen zu stärken sowie persönliche Weiterentwicklung zu fördern. Der Austausch, der sich während dieser Tour ergibt, ist das Wertvolle. Begegnungen mit Künstlern und ihrer Geschichte ist ein Teil dieses Erlebnisses. Im Interview mit Yusuf Sert, einem Interior Designer aus Zürich, bekommen Sie Einblicke, wie ein solcher Impuls aussehen kann. Das Übersetzen dieser neuen Einblicke auf das eigene Geschäftsleben ist die Kunst hierbei. Für diese Aufgabe habe ich eine Methodik entwickelt.

Ein Gespräch mit Yusuf Sert - Interior Atelier, Zürich

Herr Sert, wie kommt es, dass wir heute in diesem wunderschönen Interior Atelier inmitten der Zürcher Altstadt sitzen?
Ich habe diesen Laden vor gut vier Jahren übernommen. Das war, nach einem Leben im Angestelltenverhältnis, mein Schritt in die Selbstständigkeit.

Wie kam es dazu?
Hier muss ich etwas weiter ausholen... als ich blutjung war, hatte mein Vater die Überzeugung, dass ‘Elektro’ die Zukunft sein wird. Da hatte er nicht ganz unrecht, denn wir sprechen hier von den 90iger Jahren, als wir am Beginn von Technologien, wie Macintosh, Computern usw. standen. Noch während meiner Elektrolehre, wusste ich jedoch, dass das nichts für mich ist. Ich war auf den Baustellen begeistert über den Plänen gehangen anstatt mich auf die Elektronik und meinen Meister zu konzentrieren. Etwas Kreatives, Gestaltung, das wollte ich machen, und so brachte mein nächster Schritt mich zur Lichtplanung.

Wie kamen Sie von dort in den Showroom eines Luxus-Möbelhauses?
Das Gestalterische war immer in mir drin. Alles was mit Inneneinrichtung zu tun hatte, hat mich interessiert. Bereits mit 16 Jahren habe ich eine eigene Leuchte gebaut. In meinem Zimmer war alles von mir selbstgemacht. Ich versuchte also in die Möbelbranche und Einrichtungsbranche zu kommen, die haben aber nicht auf mich gewartet. Nachdem mich die weiterführende Schule nicht annehmen wollte, musste ich einen anderen Weg finden, um meiner Berufung zu folgen. Denn ich wusste, mein nächster Schritt ist ein Möbelhaus.

Wie war das für Sie, zu wissen wohin Sie wollen, aber zu spüren, dass der “normale” Weg eine Sackgasse ist?
Ich wusste, ich muss da irgendwie hinkommen. Ich habe mich bei einem bestimmten Möbelhaus immer wieder beworben, aber wurde wieder und wieder aufgrund meiner mangelnden Erfahrung abgelehnt. Eines Tages entdeckte ich eine Anzeige, von einem der Möbelhäuser damals in Zürich. Der unkonventionelle Chef - ein Amerikaner - hatte mich zu einem Vorstellungstermin, gleichzeitig mit acht weiteren Bewerbern, eingeladen. Wie durch ein Wunder hatte ich wenig später eine Zusage und das war mein Einstieg in die Möbelbranche.

Sie haben also ohne Vorerfahrung begonnen in einem der angesagtesten Möbelhäuser von Zürich zu arbeiten: Wie lief das?
Ich habe noch nie soviel in meinem Leben gelernt. Es gibt ja verschiedene Dinge die dazu beitragen, wie sich etwas entwickelt, ich nenne das Schicksal. In diesem Fall, war ich nach drei Monaten alleine in dem Möbelhaus: Alle hatten gekündigt. Das war sicher der Anfang vom Ende für das Haus, aber für mich begann wohl meine lehrreichste Zeit. Die Möbelbranche ist eine kleine Branche und ich hatte plötzlich direkten Kontakt mit allen wichtigen Agenten. Kontakte, die mir bis heute geblieben sind. Und am Ende durfte ich noch die Liquidation des Hauses begleiten. Ich kann Ihnen sagen, wie ein SALE oder ein Abverkauf funktionieren muss. Liquidation ist eine eigene Disziplin, aber das Wissen kann ich heute noch anwenden. Von dort an war ich in der Branche verankert.

Wie ging es dann weiter?
Ich habe mein Netzwerk genutzt, um einem neuen Job zu finden. Von diesem Zeitpunkt an, ging das nur noch über Empfehlungen. Ich habe mich nie wieder in meinem Leben beworben. Ich gewann an Selbstvertrauen und lernte, mein Wissen in neuen Situation anzuwenden, teilweise ohne gefragt zu werden. Bei meinem neuen Arbeitgeber, der gerade ein neues Lichtkonzept machen wollte, konnte ich natürlich meine Erfahrung aus der Lichtplanung einbringen. Ich habe mich relativ schnell “hoch gearbeitet”. Diesem Laden bin ich 13 Jahre lang treu geblieben.

Bei all dem Erfolg, warum dann der Drang etwas Eigenes zu machen?
Ich habe ein Doppelleben geführt. Immer wenn ich auf Möbelmessen gegangen bin, habe ich für den Laden eingekauft und gedanklich für mich. Ich hatte ein Dossier mit den Stücken, die ich eigentlich gerne gekauft hätte, für meinen eigenen, noch imaginären, Laden. Ich wusste, irgendwann im Leben werde ich meinen eigenen Laden haben. Es war immer in mir.

Jetzt sitzen wir in Ihrem Laden, was hat Sie vom damaligen Traumjob in die Selbständigkeit geführt?
Die Möbelbranche ist eine kleine Welt und ich wusste wohin ich wollte und auch wohin ich nicht gehen will. Das ist noch ein sehr wichtiger Punkt, zu wissen, was man nicht will. Und in der Branche war ich, für mich, am Ende angekommen. Es gab nichts mehr Neues, was mich noch gereizt hätte.
Eines Tages, rief mich der Besitzer dieses Geschäfts, in dem wir heute sitzen, an und wollte sich mit mir treffen. Relativ direkt hat er mich gefragt, ob ich seinen Laden kaufen will, den Vertrag haben wir direkt auf einer Serviette verfasst. Es gab natürlich noch andere Interessenten, aber ich schien wohl der menschlichste zu sein. Ich habe ihm angeboten, solange er noch arbeiten möchte, er war im Pensionsalter, noch einen Schreibtisch im Laden haben zu können.

Was war das für ein Gefühl, plötzlich den eigenen Laden zu haben?
Ich war ein neuer Mensch. Ich bin Unternehmer, kein Manager.

Was ist der Unterschied im Denken, zwischen Unternehmer und Manager?
Ich habe einmal zu einem Manager gesagt: “Sie geben mir immer das Gefühl, dass ich alles falsch mache.” Manager müssen sich an Fakten orientieren. Es braucht für alles einen Report, jede Entscheidung muss begründbar sein, am besten mit Marktanalysen. Ein Gefühl zu haben, das ist nichts wert. So funktioniere ich nicht.
Einem Unternehmer geht es nicht rein um die beste Marge. Ich kann nicht einfach die Best-seller kaufen. Ich muss doch die Dinge aussuchen, die zu mir passen. Was passt in unsere DNA? Und, was passt vielleicht auch nicht ganz? Wo tut es ein bisschen weh, wenn man es bestellt? Das ist auch noch spannend. Wir müssen dem Kunden zeigen, was er vielleicht haben möchte. Ein kleines bisschen ausserhalb der DNA, um einen Schritt voraus zu sein, aber dabei immer den Zeitgeist zu beachten. Das ist unser Job.
Und wie “managen” Sie heute?
Alles geht 100x schneller. Zum Beispiel, ist man sich nie sicher, wenn man etwas Neues einkauft, ob das Produkt funktionieren wird; Ich kann heute schon beim Auspacken entscheiden, es beispielsweise anders zu platzieren oder einzusetzen. Es geht um schnelle, kurze Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Ohne grosse Marktanalysen.

Kann man diesen Bauchentscheid trainieren?
Ja, man muss lernen, aus dem Bauch auszuwählen und aus dem Kopf zu entscheiden. Es ist eine Kombination.

Woher bekommen Sie ihre Inspiration?
Die Mischung macht es aus, das ist ganz wichtig. Deutsche, italienische, französiche und englische Fachzeitschriften waren für mich immer eine Quelle der Inspiration. Aber nicht nur: Ich habe meine Freunde immer gebeten, Wohnzeitschriften aus ihren Urlaubsländern mitzubringen. Andere Länder ticken anders. Sogar die Westschweiz tickt anders als wir hier in Zürich. Ich beschäftige mich viel mit dem Thema “Schön”. Was bedeutet Ästhetik, was steckt hinter dem “gefällt mir” oder “passt mir nicht” der Kunden. Und, ich bin ein kleiner Fan von Oliver Jan, der AD Deutschland.

Gibt es eine Person, die Sie besonders geprägt oder inspiriert hat?
Viele. Ganz allgemein ist mir aufgefallen: Je grösser die Meister sind, desto weniger sagen sie, “das geht nicht”. Selbstbewusste Amateure urteilen sofort. Da kommt jemand und sagt, “das wäre doch auch noch was”. Die sagen «sofort»: “Nein, wir machen es so, wie ich gesagt habe.” Der Meister lässt den Gedanken zu. Er lässt andere Betrachtungsweisen zu. Er öffnet seine Perspektive und gibt dem Anderen eine Chance. So entstehen gute Konzepte. Ich denke, dass es fast keine hässlichen Dinge gibt. Unsere Aufgabe ist es, den richtigen Kontext darum zu schaffen.
Ein Beispiel...Bei uns in der Branche finden 85 % minimalistische Tische mit feinen Beinen gut. In Amerika finden das vielleicht 1 % der Leute schön. Die Welt ist so unterschiedlich. Und unsere Design-Welt so klein. Wir müssen uns öffnen und zuhören was der Kunde will. Unsere Einrichtung wäre in Mexiko der Eingang in einem Gefängnis. Da braucht es Opulenz, nicht Schlichtheit.

Gibt es eine geographische Zuordnung Ihrer Inspiration?
Die Italiener haben einst den Designmarkt erobert, aber die «NEUEN» Skandinavier bieten unglaubliche Shows. Auch wenn sie etwas skrupellos sind, aber sie treffen den Nerv.
Ansonsten finde ich in der Schweiz präzises Design, England kommt ins Spiel sobald Heritage mitschwingt und Frankreich für ein bisschen Boheme.

Wohin bewegt sich der Design Markt?
In einen warmen Minimalismus.

Haben Sie den Schritt jemals bereut?
Mein Vater hatte schon recht, meine ganzen Kollegen von damals haben Karriere gemacht. Aber ich muss Ihnen sagen, mir ging es nie besser: Ich fühle mich jung und vollkommen angekommen.

Über

Yusuf Sert, Interior Designer und Lichtplaner, hat sein Atelier an der Oberdorfstrasse in Zürich. Er ist bekannt für die einzigartigen Atmosphären, die er mit seinen eigenen Entwürfen und denen bekannter Hersteller für seine Privat- und Firmenkunden schafft.