In diesem Letter of Inspiration beschreibe ich am Beispiel von Milan Kunderas Werk „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ die Schwierigkeit, klare Entscheidungen zu treffen. Zudem inspirierte mich der Blick auf den Weinanbau. Denn wenn es um das Thema Geduld geht, ist diese Branche durch natürlich auferlegte Grenzen ein Rolemodel.
In dem berühmten Werk von Milan Kundera „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ beschreibt eine der Hauptcharaktere, Tereza, eine von Selbstzweifeln geplagte Frau, in einem Traum ihre Angst nicht zu genügen. Sie träumt davon, dass ihr Liebster, der Lebens-genießende Philosoph Tomas, sie auf den Petrin-Hügel in Prag sendet, wo ein Mann mit einem Gewehr drei Selbstmördern hilft sich umzubringen. Als sich der bewaffnete Herr ihr zuwendet, schreit sie auf „Es war nicht meine Wahl“ und ihr wird gewährt zu gehen. Erst in dem Moment, in dem es sprichwörtlich um Leben und Tod geht, übernimmt Tereza Verantwortung für sich selbst und trifft eine Entscheidung. Warum fällt es einem so schwer klare Entscheidungen zu treffen?
Es beginnt mit der Summe an Möglichkeiten, die uns geboten werden. Der routinierte Gang zum Café um die Ecke, der zum Verhörspiel am Morgen wird: Flat White? Klein oder gross? Welche Milch? Bar oder mit Karte? Und es zieht sich weiter in die darauffolgenden Sitzungen, wo es um zukünftige Investitionsentscheidungen, Einstellungen oder die Unternehmensstrategie geht. Es mangelt nicht an Optionen oder Meinungen, vielmehr gibt es zu viele. Die Kunst liegt darin herauszufinden, wie man eigentlich seinen Kaffee mag, kurz: Was man eigentlich will.
Das Ziel dabei ist nicht Perfektion. Wir sind keine Maschinen, noch lässt sich eine Entscheidung mit der Perfektionsgabe, wie die des Meisterfälschers Beltracchi treffen. Klarheit darüber, was man nicht mag, ist ein guter erster Schritt. „Es war nicht meine Wahl.“ Sprich: „Ich möchte nicht sterben“, schrie Tereza. Nun war das ein Traum, aber dennoch einmal weiter gedacht, kann man sich vorstellen, dass dieser Entscheid auf dem Petrin-Hügel weitere Folgen nach sich gezogen hat. Denn der Moment der Klarheit hat eine unheimlich befreiende Energie. Meistens ist diese Klarheit schon lange in uns vorhanden, gleichwohl neigt man zu zögern. Dies hat vielerlei Gründe: Man ist für die einhergehenden Konsequenzen noch nicht bereit, man hat Angst vor der Veränderung und dem Loslassen des Gewohnten, oder es fehlen (noch) die Worte zum Ausdruck. Eines darf man sich bewusst machen: Das Leben ist nicht statisch, sondern im Fluss. Ob man bewusst entscheidet oder die Strategie des Abwarten wählt, es fließt weiter. Die meiste Sicherheit findet man im Vertrauen in die kontinuierliche Bewegung.
Blicke ich zurück in die Vergangenheit, hat keine meiner Entscheidung je etwas Schlechtes gebracht. Veränderung ja, aber das passiert eben, wenn man sich bewegt. Der Kontext verändert sich. Ein Werkzeug, welches Halt und Klarheit in der kontinuierlichen Bewegung gibt, ist eine geschulte Intuition. Wie sich diese schulen lässt, darf ich am 27. Oktober bei einem Vortrag am Senior Management Programm der Hochschule St. Gallen teilen. Details dazu gibt es im Anschluss auf meiner Website.
Im Magazin „Zukunftsbeweger“ der Globalance Bank schreibe ich in meiner aktuellen Kolumne über die Stabilität in der Bewegung. Hier geht es zum Beitrag.
Was mich kürzlich inspiriert hat? Geduld.
Soeben wurden die letzten Weinberge geerntet und die Hauptarbeit im Weinkeller ist abgeschlossen. Nun heißt es warten. Denn das Arbeiten mit der Natur lässt keine kurzfristige Anpassung zu, noch lässt sich die Ernte wiederholen oder Fehler ausbessern. Es herrscht eine Abhängigkeit und damit einhergehend ein Hoffen, dass die Natur es gut mit den Winzern meint. Denn der nächstmögliche Versuch ist erst wieder in einem Jahr. Die Natur gibt die Geschwindigkeit vor und wir haben zu folgen.
Was mir dieses Beispiel zeigt, ist nicht nur die Abhängigkeit von externen Einflussfaktoren (denn die gibt es überall), es zeigt mir auch das Level an Klarheit, das es braucht, um dieses kostbare Produkt zu produzieren. Möchte ich beispielsweise einen eleganten, schlanken Wein mit wenig Alkohol, der im Geschmack eher dunkle Beeren oder gar Tabak hat oder etwas ganz anderes? Welche Rahmen (Anbau, Ausbau und Produktion) braucht es, damit mir das gelingt? Und selbst wenn ich all das visualisieren und ausdrücken kann, muss ich dennoch abwarten, um zu sehen, ob meine Strategie aufgegangen ist. Denn das fertige Ergebnis zeigt sich erst in der Flasche. Geduld ist eine Eigenschaft, die uns in der Geschäftswelt oftmals abhanden gekommen ist.
Ich wurde geschäftlich so konditioniert, dass Gedanken sofort umgesetzt werden sollen. „Fail fast“ ist die Mentalität, die uns aus dem Silicon Valley vorgegeben wird. Ist das so? Brauchen gute Ideen, so wie gute Tropfen, nicht Zeit zu reifen, um dann ihr volles Potential zu entfalten? Im Wein ist das mit Sicherheit so, und ich glaube auch im Geschäft.
Der Sommer ist nun spürbar vorbei und die dunklen und kühlen Monate haben begonnen. Zeit zur Reflektion und Auseinandersetzung. Möge dieser Letter of Inspiration dazu anregen und neue Gedanken anstoßen.
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