In diesem Letter of Inspiration findest Du Gedanken zur Entwicklung in risikoreichen Zeiten, sowie was sich hinter dem oberflächlichen Deckmantel von Schönheit befindet. Zudem teile ich eine radikale Betrachtung, in der ich Kunstwerke als Beiprodukt persönlicher Entwicklung beschreibe. Viel Freude beim Lesen

Eine grundlegend menschliche Kompetenz

Viele (Geschäfts-)Modelle gehen von bereits Bekanntem aus. Der Referenzpunkt ist die Vergangenheit. Dieser Punkt wird genutzt, um Risiko abzuschätzen, für Analysen oder um die Unternehmensplanung für das kommende Jahr zu machen. Bewährte, quantitative Modelle sind jedoch überfordert, sobald es um Unvorhergesehenes oder erstmalige Ereignisse, wie eine Pandemie geht. Dann braucht es Fachleute. Was es aber noch viel mehr braucht, ist die eigene Intuition. Denn die wird Unternehmern bei der Neuausrichtung und der Übersetzung der bestehenden Unternehmung in ein neues Umfeld dienlich sein.

"Intuition ist eine grundlegende menschliche Kompetenz und darf deshalb durchaus Bestandteil eines professionellen Risikomanagement sein.”- sagte Dr. Nikolaus von Bomhard, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Munich Re, in einem lesenswerten Beitrag in der FAZ aus 2016. FAZ Artikel hier.

Das Folgen der eigenen Intuition hat noch einen Vorteil: Das Erschaffen von neuen Gedanken, Ideen und Visionen aus sich selbst heraus macht unabhängig. Denn sie sind losgelöst von externen (Einfluss-)Faktoren wie Analysen, Gewohnheiten und Einschätzungen anderer. Natürlich ist es angenehm, sich durch andere oder äußere Faktoren abzusichern. Doch die scheinbare Sicherheit, die mit den externen Fakten kommt, sieht auf dem Papier gut aus, kann sich im Ernstfall jedoch rasant schnell auflösen. Diese Pandemie ist ein Beispiel hierfür: Nicht vorhersehbar, jedoch hat sie essentiellen Einfluss auf unser aller (Geschäfts-)Leben. Eine bewusste Intuition ist wie eine starke Rumpfmuskulatur, sie gibt Stabilität, lässt einen jedoch beweglich auf Veränderungen reagieren.

Künstler, in ihren kreativen Prozessen, verlassen sich auf diese innere Stimme der Intuition. Günther Uecker, ein Mitglied der ZERO Kunstbewegung, die sich einem künstlerischen Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg verschrieben hat, beschrieb das wie folgt:

“Da ist etwas, und es findet noch keinen Ausdruck in meinen Werken, aber ich weiß, dass es ist, (...). Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin dem nah, aber ich weiß nicht, was es ist, (...).”- Günther Becker, ZERO Künstler

Der schöpferische Prozess ist weder in der Kunst noch in der Wirtschaft ein leichter. Etwas Neues zu wagen und zu erschaffen erfordert Mut, freies Denken, Raum und Zeit, diesen Gedanken nachzugehen. Einschränkungen, vorgezeichnete Wege und rückwärtsgewandtes Wissen sind in diesem Prozess eher eine eiserne Kugel am Fußgelenk, die einen vom Weiterkommen abhält. Sich von dieser schweren Kugel zu befreien - loszulassen - ist die wahre Herausforderung, aber auch eine Chance.

Die weiße Leinwand

Warum sollte ein (neuer) Weg, der weder einfach scheint, noch Erfolg garantiert ein erstrebenswerter sein? Die Sicherheit, die uns Gewohntes zu geben scheint, ist eine fiktive Garantie basierend auf dem Konzept der Hoffnung. Einmal die Oberfläche dieser Illusion durchbrochen, zeigt sich, dass die Strategie der Hoffnung weder sicher noch zukunftsfähig ist.

Ist das Gefühl von Sicherheit nicht vielmehr ein oberflächlicher Mantel, der einen nach aussen Selbstsicherheit und gar Anziehungskraft (=Schönheit) ausstrahlen lässt? Doch auch das Schönste verliert einmal seinen Glanz; ganz aktuell, wenn es den Boden der Realität berührt. Diese Pandemie-Situation hat etwas unglaublich Entlarvendes. Oberflächlich Schönes, bspw. bei sogenannten Erfolgskonzepten, beginnt zu bröckeln und es gibt nun zwei Wege damit umzugehen. Zum einen den Schein noch eine Weile aufrechtzuerhalten oder zum anderen, aufzubrechen und nach dem wahrlich “Schönen” zu suchen. Zweiteres beginnt mit der Suche nach Abweichungen von der Norm. Merkmale, die über das Glatte, Schöne und Perfekte hinausgehen. Oftmals führt das zum Ursprung zurück, zum Anfangspunkt, der Treiber, der ein Unternehmen, einen Unternehmer oder ein Konzept erfolgreich gemacht hat.

Was meine ich damit? Die Art und Weise wie man sich orientiert und sich einen Weg merkt, ist nicht über den Versuch, sich identisch wirkende asphaltierte Straßen einzuprägen. Man sucht nach markanten Bezugspunkten in der Umgebung: ein spezielles Haus, einen alleinstehenden Baum, ein besonderes Ladengeschäft oder ein dominantes Schild. Genau nach dieser Markanz lohnt es sich zu suchen, wenn man sich am einfach Schönen satt gesehen hat bzw. das nicht mehr genügt (unvorhersehbare Veränderung). Der Weg aus dem gewohnten, fiktiven Erfolgsmuster hin zu einem starken, klaren, eigenen Erfolgsweg, beginnt indem man die eigene Oberfläche durchbricht und nach Markanz bei sich selbst beginnt zu suchen. Das lässt einen von der generischen, asphaltierten Straße zum Merkmal werden: „You start building your own statue“. In der Kunst würde man davon sprechen, dass der Künstler seinen eigenen Stil entwickelt, in der Geschäftswelt möchte ich das Haltung nennen. Diese Haltung bildet einen wichtigen Teil der “Rumpfmuskulatur” die einem Stabilität in krisenreichen Zeiten gibt.

In diesem Podcast-Interview vertiefe ich den Gedanken, wie sich das Bauchgefühl stärken lässt, wie das zur eigenen Haltung führt und somit aktiv für die Geschäftsentwicklung eingesetzt werden kann.

Was mich kürzlich inspiriert hat: Loslassen können.

Ich habe mich mit dem Endprodukt der künstlerischen Kreation befasst: dem Kunstwerk selbst. Dabei ist mir klar geworden, dass das, was wir als Kunst oft bewundern, etwas ist, das dem Künstler selbst oft gar nichts mehr bedeutet. Die sichtbare Kunst ist eine Form des Ausdrucks eines Entwicklungsprozesses, der sich wiederholt oder weiterentwickelt ab dem Moment der Erschaffung. Einmal in diesem Rhythmus eingestiegen, hält man sich nicht mit dem Betrachten des schönen Endprodukts auf, man entwickelt sich weiter. Radikal formuliert, kann Kunst als Beiprodukt emotionaler und persönlicher Entwicklung bezeichnet werden. Der Künstler ist bereits einen Schritt weiter, während wir noch seine ‘alte Haut’ bestaunen. In der Geschäftswelt ist es oft umgekehrt: Loslassen fällt schwer. Hat man einmal etwas ‘erschaffen’, möchte man es bewahren. Weiß man doch zu genau, wie viel Energie in das Unternehmen, das Produkt oder das Team geflossen ist.

Hier darf man mutig auf die Kunstwelt blicken: Die weiße Leinwand - die Leere des Neubeginns - kann auch als Raum von Potential zur Weiterentwicklung gesehen werden. Der Moment etwas Neues zu wagen, ist die weiße Leinwand. Und der erste Schritt, ist wie der erste Pinselstrich, der Schwierigste von allen. Erik Brynjolfsson, Professor Stanford University, sagte einmal in einem Vortrag:

"Sometimes you have to kill your darlings"

Neue Wege zu gehen erfordern loslassen zu können. Brynjolfsson meint, dass erst dann wirklich großartige Dinge entstehen. Das soll keine Aufforderung zum Loslassen von allem was einem lieb ist sein, sondern ein Impuls zum Nachdenken, was man manchmal zwanghaft festhält und einen davon abhält den ersten Pinselstrich auf der nächsten weißen Leinwand zu machen. Beantworte für dich selbst einmal die Frage, was das Schlimmste ist, das passieren kann, wenn du zum neuen Pinselstrich ansetzt?