In diesem Letter of Inspiration teile ich meine These, warum die Post-Pandemie uns eher lethargisch macht und wie dies damit zusammenhängt, dass wir Menschen gerne den einfachen Weg gehen. Neben den Gedanken zur Flucht in die Sicherheit schreibe ich darüber, wie Tiefe den Kontext auflösen kann. Viel Spaß beim Lesen!

Flucht in die Sicherheit

Die Reaktionen der Post-Pandemie sind anders als erwartet. An jeder Ecke höre ich von Kündigungen, Motivationsschwierigkeiten und Erschöpfungserscheinungen. Nicht nur in den grossen Beratungen, wo häufige Zu- und Abgänge keine Seltenheit sind, sondern überall. Es scheint nicht so, als hätten alle darauf gewartet, dass es wieder losgeht, der Tatendrang fällt verhalten aus. Nein, vielmehr noch beobachte ich eine Flucht, ein Weglaufen aus dem Bekannten. Womöglich weil die Zeit, in der sowohl private als auch berufliche Parameter anders als sonst waren, Fragen aufgeworfen hat, die den Status-Quo kritisch hinterfragt haben. Nun könnte man meinen: zum Glück. Lief doch so vieles zu achtlos an uns vorbei; Klimawandel, Digitalisierung, KI, … Alles ist irgendwie gleichzeitig passiert. So dass wir fast keine Chance hatten uns darüber Gedanken zu machen, geschweige denn eine klare Haltung zu diesen Themen zu entwickeln.

Die veränderten Rahmenbedingungen der letzten Monate, haben die Möglichkeit für die grossen Fragen angeboten. Wo ist mein Platz in Mitten all der Verädnerung? Was sind meine Stärken und bringe ich diese wertstiftend ein? Man könnte daher annehmen, dass die erhöhten Fluktuationsquoten ein Indiz dafür sind, dass die Menschen ihren Bedürfnissen, Wünschen und ja, vielleicht auch Lebensträumen (endlich) nachgehen. Es gab den Moment der Erleuchtung und somit der Klarheit darüber, was man eigentlich will.

Doch statt eines Ansturms auf die eigenen Ideale, höre ich in Gesprächen eher Gegenteiliges - die wenigsten folgen ihrem Weg, sondern treten vielmehr den Weg in die Sicherheit an. Der sympathische Kellner wird zum Call Center Agent (und freut sich über geregelte Arbeitszeiten), die einstige Architektin sucht sich einen Job in der Verwaltung (wo der Akquise-Druck verschwindet), und der Gründer wählt doch wieder die scheinbare Sicherheit, die ein Corporate Job bieten kann.

Was mich daran überrascht ist die Tatsache, dass ich nicht glaube, dass dieser Schritt die Folge einer ehrlichen Auseinandersetzung mit sich selbst ist, sondern doch eher die Wahl der naheliegendsten, einfachen oder logischen Lösung für etwas, dass, wenn weiter damit befasst, nur anstrengend werden würde. Was mich kritisch hinterfragen lässt, wie nachhaltig diese neu gewählten Wege sind? Folgt in einem Jahr dann eine zweite Welle - nicht Corona - sondern eine, die die Sinnfrage erneut aufwirft?

Der Schritt vor den Spiegel

Der Mensch ist so strukturiert, dass er den einfachsten Weg geht. Deswegen stellen wir uns im Supermarkt auch klassischerweise an der längsten Schlange an, denn bei allen anderen könnte etwas nicht stimmen. Dort hinten, wo schon viele warten, das scheint richtig, denn die können nicht alle falsch liegen. Auch lassen sich in Parkanlagen über die Zeit kleine Trampelpfade erkennen, die andeuten, dass es uns logischer erscheint, gewisse Wege abzukürzen. Wir wollen nicht unnötig nachdenken und auch nicht unnötige Meter gehen. Meine Angst ist, dass wir dieses Muster sogar auf unsere Lebensentscheidungen übertragen.

Würde sich der extra Schritt oder intensivere Gedanken denn nicht gerade wenn es um die eigene Zukunft geht lohnen? Wissend, dass die Auseinandersetzung mit dem „was man wirklich will“ keine einfache ist, bin ich dennoch überzeugt, dass es eine Frage ist, die es sich lohnt zu stellen. Gerade in Zeiten von Unsicherheit ist das logisch Wirkende nicht zwingend das Richtige. Man darf den Weitblick jetzt nicht zu verlieren, sondern sollte sich die Zeit und Musse nehmen, aus der Veränderung heraus zu gestalten. Neue Gedanken, einen angepassten Lebensstil, ein neuer Job, all das: ja! Aber doch bitte basierend auf den eigenen Wünschen und Bedürfnissen und nicht aus dem Treiber oder der Hoffnung auf Sicherheit. Wenn uns diese Pandemie etwas zeigt, dann dass nichts sicher ist. Das Vertrauen in sich selbst haben wir jedoch in der Hand, und das wird unser wichtigstes Werkzeug für die nächsten Monate und Jahre sein.

Wie man dieses Werkzeug einsetzt und trainiert, bieten wir vom 21. bis 23. Oktober beim Zero Senses Retreat „Cultivating Presence“ an. Wer momentan nach neuen Impulsen und Inspiration sucht, sollte sich einen Platz sichern.

Was mich kürzlich inspiriert hat: Tiefgang löst Kontext auf.

Ich habe mich neulich in einem Umfeld wiedergefunden, welches ich für mich selbst niemals bewusst ausgesucht hätte. Bröckelnde Wände, ein Bett, das nur eine Matratze am Boden war, und ein Grad an Sauberkeit, der nach Schweizer Massstäben wohl als ungenügend durchgegangen wäre. Und tatsächlich habe ich eine der schönsten Woche seit langem erleben dürfen. Woran liegt das?

Der Künstler James Turrell hat einmal in einem Interview gesagt, “Zuhause ist wo meine Community ist”. Heimat hat für diesen Raum- und Licht-Künstler keine Bedeutung im geografischen Sinne. Sie kann überall dort sein, wo er eine tiefe Verbundenheit mit seinem Umfeld verspürt. Das wurde mir in meinem Beispiel sehr deutlich. Die Gruppe an Menschen und die Tiefe der Verbundenheit ist das, was den Kontext irrelevant werden lässt. Meine These: je stärker die Beziehung, desto irrelevanter wird der Kontext.

In eigener Sache…

Kürzlich ist ein Beitrag von mir im St. Moritz Automobile Club Magazin (SMAC) erschienen. Ganz passend zu dieser Ausgabe des Letter of Inspiration, denn ich schreibe über “Das gute Leben”.

SMAC-Tanja-Schug